Die Folgen der russischen Invasion in der Ukraine für die europäische Sicherheit

Russlands Invasion in der Ukraine hat die Grundfesten der europäischen Sicherheit erschüttert. Dies hat Folgen - auch für die Schweiz und die Debatte um die Zukunft ihrer Sicherheit.

Russische Invasion

Am 10. November 2022 referierte Botschafter a.D. Dr. Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, auf Einladung des Center for Security Studies (CSS) an der ETH über die Auswirkungen des russischen Kriegs in der Ukraine auf die europäische Sicherheitspolitik.

Anzeichen einer russischen Eskalation gab es bereits seit mehreren Jahren

Botschafter Heusgen war langjähriger sicherheitspolitischer Berater der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. In dieser Funktion erlebte er etwa hautnah den Auftritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007, bei dem Putin seine Kritik an der NATO-Erweiterung sowie der Nichtberücksichtigung russischer Interessen schonungslos vortrug. Auch beim Bukarester NATO-Gipfel vom April 2008 war Heusgen dabei.
Damals wurde der Ukraine und Georgien ein NATO-Beitritt in Aussicht gestellt, ohne dass der Weg dorthin konkret geplant wurde. Im Nachhinein, so Heusgen, wurde dieser Gipfel von Russland aber auch von vielen im Westen als schwerer Fehler empfunden. Allerdings könne man nicht – so Heusgen – von einer Kontinuität sich verschärfender Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sprechen. Der Präsidentschaftswechsel in Russland von Putin zu Medwedew im Jahre 2008 habe aufgrund der mit ihm einhergehenden gewissen Liberalisierung und gesellschaftlichen Öffnung im Land bei vielen Menschen im Westen Hoffnungen auf eine Besserung geweckt.
Spätestens seit der Annexion der Krim 2014 und den darauffolgenden Konfliktjahren sei jedoch klar geworden, dass dies nicht der Fall sei, im Gegenteil: Nach Ansicht des Botschafters Heusgen habe der arabische Frühling, in dessen Verlauf einige autoritäre Führer zu Fall kamen, und auch Entwicklungen in der Ukraine, Georgien und Moldawien bei Putin die Furcht hervorgerufen, auch in Russland könne etwas Ähnliches passieren. Deshalb habe Putin nach Rückkehr in das Amt der Präsidenten gemäss Heusgen die Zügel angezogen, die Opposition mundtot gemacht und mehrere kremlkritische Nichtregierungsorganisationen verboten. Auch die Pressefreiheit habe Putin stark eingeschränkt. Das Ganze sei dann im Februar 2022 mit der Invasion der Ukraine eskaliert.

Sicherheitspolitik in und für Europa ist seit Kriegsbeginn stark in den Fokus geraten

Laut Botschafter Heusgen sei eine wichtige Frage, ob Europa die Fähigkeit besitze, in Konflikten auf oder am Rande des Kontinentes zusammenzustehen und militärisch zu kooperieren. Die Aufmerksamkeit in der sicherheitspolitischen Debatte müsse also zunehmend auf eine geeignete Landes- und Bündnisverteidigung gerichtet werden, insbesondere auch gegenüber Russland. Für den europäischen Kontinent sei es wichtig, über so etwas wie eine schnelle Eingreiftruppe zu verfügen.
Heusgen betonte weiter, dass die europäischen Staaten in allen Fragen zusammenstehen und kooperieren müssen, selbst wenn zum Teil unterschiedliche Grundpositionen vertreten würden. Trotz zuletzt eher schwieriger Beziehungen, beispielsweise zwischen Frankreich und Deutschland, müsse gemäss Heusgen alles darangesetzt werden, die Zusammenarbeit in Europa zu verbessern. Dies werde jedoch schwieriger, wenn man sich zum Beispiel die letzten französischen Parlamentswahlen anschaue, wo antieuropäische Parteien grosse Gewinne für sich verbuchen konnten. Dies sei für die deutsch-französischen Beziehungen keine gute Aussicht. Anders habe man in Italien mit der neuen rechts-konservativen Regierung Glück im Unglück, da sich diese mit Blick auf Europa und die Ukraine bereits auf die Seite der Mehrheit geschlagen habe.
Der Mehrheit der Weltgemeinschaft, so Heusgen, sei bewusst, dass Russland der Aggressor sei. In Staaten des globalen Südens würden jedoch Stimmen lauter, die sich als Leidtragende des Krieges sehen, unter anderem wegen der steigenden Energiepreise oder ausbleibenden Getreideexporte. Dem Kreml würde es gelingen, vielen Ländern weiszumachen, dass diese Situation auf die vielen Sanktionen gegen Russland zurückzuführen sei. Europa müsse sich also für eine Einhaltung des Getreideabkommens einsetzen und Partnerschaften in Afrika und Asien weiter intensivieren.

Unterstützung der Ukraine ist immer noch notwendig und wichtig

Botschafter Heusgen betonte mehrmals, der Westen müsse die Ukraine weiter unterstützen, auch wenn die hohen (und weiter steigenden) Energiepreise, die Inflation und die anstehende Rezession immer mehr Leute dazu brächten, die Unterstützung für die Ukraine kritisch zu hinterfragen. Man dürfe sich aber nicht von Putin täuschen lassen, so wie es in den letzten Jahren der Fall war.
Heusgen sprach davon, wie Russland praktisch alle Abkommen «mit Füssen getreten hat», die es in der Vergangenheit unterschrieb. Deswegen sei die ukrainische Regierung sehr skeptisch, wenn es um eine Wiederaufnahme von Gesprächen zu einem möglichen Waffenstillstandsabkommen mit Russland gehe. Heute sei die ukrainische Armee eine der modernsten der Welt, taktisch sehr gut aufgestellt, koordiniert und bewaffnet. Dennoch befürchtet Heusgen, dass der Krieg weitergehen wird und wir uns noch auf einige Auseinandersetzungen vorbereiten müssen.
Der Kreml habe die volle Kontrolle über die russischen Medien und habe so über Jahre hinweg eine Indoktrination der Gesellschaft vorgenommen, die im Lichte der zuletzt erlittenen militärischen Niederlagen weiter intensiv betrieben wird. Indes beginne es, wie Botschafter Heusgen erklärte, schon an mehreren Stellen zu bröckeln: Die Anzahl Männer, die sich der Teilmobilmachung entzogen habe, sei sehr gross. Ausserdem sei die Zahl der gefallenen russischen Soldaten sehr hoch. Der Unmut in der Bevölkerung werde weiterwachsen, nicht zuletzt auch wegen der enormen wirtschaftlichen Schäden.

Am Schluss hatte das Publikum die Gelegenheit, Botschafter Heusgen Fragen zu stellen. Moderiert wurde die Frage- und Antwortrunde von Dr. Oliver Thränert, Head of Think Tank des CSS. An der Veranstaltung nahmen Personen aus verschiedenen Bundesbehörden, Botschaften, Hochschulen, Firmen und Think Tanks teil.

Der nächste ETH Evening Talk ist für den 16. Januar 2023 geplant. Mehr Informationen dazu werden zu gegebener Zeit auf der Webseite des CSS publiziert.  

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