Offener, internationaler, weiblicher – Die Geschichte von Sarah Springman und der ETH Zürich
Alumni Porträts
In ihrer 25-jährigen Tätigkeit für die ETH Zürich orientierte sich Sarah Springman stets an ihrer Haltung «students first». Sie setzte sich leidenschaftlich für innovative Lehre und Forschung ein und engagierte sich für eine offenere, internationalere sowie diversifiziertere Hochschule ein. Für die Zukunft der ETH wünscht sie sich, dass alles daran gesetzt wird, um den Studierenden weiterhin die beste Ausbildung anbieten zu können.
Deine Leistungen für die ETH Zürich der letzten 25 Jahre wurden Ende 2021 mit Standing Ovations verdankt. Wie hast Du Deine Zeit an der ETH erlebt und was hat Dich am meisten geprägt?
Am Anfang war die ETH Zürich ein sehr «männliches Zuhause». Ich war die neunte ordentliche Professorin an der ETH Zürich und die erste Professorin am Departement Bau, Umwelt und Geomatik. Den Umgang im Kollegium erlebte ich als ausgesprochen höflich und formell. Von Cambridge war ich mir die Anrede «Herr oder Frau Professor Doktor» weniger gewohnt. Das war eine neue Erfahrung für mich.
Für mich drückt «togETHer» die Entwicklung und das Wesen der ETH am treffendsten aus. Das Kollegium setzt sich aus vielfältigen, motivierten Individuen zusammen, deren Leidenschaft für ihr jeweiliges Fachgebiet sie verbindet. Es ist elementar zu begreifen, dass es das gemeinschaftliche Engagement ist, welches die ETH im nationalen und internationalen Vergleich zu anderen Hochschulen voranzubringen vermag. Als Rektorin wurde mir noch deutlicher, dass die Art und Weise, wie Ziele verfolgt und erreicht werden, entscheidend sind. So ermöglicht die Partizipation aller Hochschulgruppen, divergierende Kräfte zu bündeln, sie auf dasselbe Ziel hin auszurichten und Reformen schnell umzusetzen. Ein Beispiel dafür ist der Bachelorstudiengang in Medizin. Innerhalb eines halben Jahres wurde der Plan dafür entwickelt und die Einverständnisse unserer Partnerhochschulen Universität Basel, Zürich und Tessin (USI) eingeholt. Heute, nur fünf Jahre und bereits zwei Abschlussjahrgängen später, zeigt sich der Ertrag einer solchen zielgerichteten Kooperation.
Schliesslich war und ist die Corona-Krise ein Stresstest für unsere Hochschule. Bisher haben wir sie gut gemeistert und ihr auch viele positive Aspekte abgewinnen können, beispielsweise wie wir in Zukunft mit ausserordentlichen Situationen umgehen können. Mein Nachfolger Günther Dissertori kann folglich von einem reichen Erfahrungsschatz profitieren, so dass er sich in diesem Zusammenhang nahtlos als neuer Dirigent ins Orchester der vielen Akteure und Akteurinnen einfinden kann.
«Es ist elementar, zu begreifen, dass es das gemeinschaftliche Engagement ist, welches die ETH im nationalen und internationalen Vergleich zu anderen Hochschulen voranzubringen vermag.»Sarah Springman
Was hast Du am meisten geprägt?
Ich habe die Hochschule bestimmt dadurch geprägt, dass sie durch mich mehr weiblichen Einfluss erhalten hat. Zudem leitete und begleitete mich die Haltung «students first» stets bei meinen Tätigkeiten. Es war mir ein grosses Anliegen, dass die Studierenden ihre überfachlichen Kompetenzen und damit ihre gesamte Persönlichkeit weiterentwickeln können. Es lag daher in meinem Interesse und meiner Verantwortung, dass das Lehrangebot stets dem Zeitgeist entsprach, respektive diesen mitprägte. So entstanden Projekte wie ETH Talent, Student Project House, das «ETH Centre for Students and Entrepreneurs» (HIC), die ETH Woche und Prisma. Ausserdem starteten wir mit dem neuen Master in «Mechatronics» ein internationales Projekt in Forschung und Lehre in Ghana, das jungen Studierenden in Afrika den Zugang zu ausgezeichneter Lehre und, umgekehrt unseren Studierenden die Teilnahme an einer Summer School ermöglicht. Inspirierend ist dieses Projekt zudem, weil die Schweizer Industrie darin finanziell sowie in Form von Praktika und möglichen Festanstellungen investiert.
Für mich ist es zudem wesentlich, dass die Dozierenden mit Begeisterung unterrichten und sich diese Grundhaltung auf die Studierenden übertragen, so dass sie verstehen, welche Möglichkeiten ihnen ein Studium an der ETH bietet. Ein Studium sollte nicht nur fordern und fördern, sondern auch Spass bereiten. Um diese Leidenschaft aufrecht zu erhalten, setzte ich mich auch dafür ein, dass mehr nennenswerte Preise für die wunderbare Arbeit in der Lehre vergeben werden. Der KITE Award der Konferenz des Lehrkörpers (KdL) oder die Goldene Eule des Verbands der Studierenden (VSETH) sind Beispiele dafür. Innovedum oder Refresh Teaching-Anlässe sind weitere innovative Möglichkeiten, um Lehre und Forschung auf dem aktuellen Stand zu halten.
Welchen Weg gilt es für die ETH Zürich noch zu gehen?
In Zukunft wird sich die ETH mit der Zulassung zu Masterstudiengängen und allgemein mit der Kapazität von Dozierenden und Räumlichkeiten befassen müssen. Als ich Rektorin wurde, fasste die ETH 16'000 Studierende, mittlerweile sind es an die 24'000. Für 2030 werden 30'000 Studierende erwartet. Wenn es unser Ziel ist, diese Anzahl Studierende auszubilden, dann muss dafür der notwendige Platz und die entsprechende Betreuung bereitgestellt werden und die Qualität von Lehre und Forschung im Mittelpunkt stehen. Zudem liegt es an uns, der Motivation und mentalen Gesundheit der Studierenden Sorge zu tragen. Ihnen sollen mehr Wahlfreiheiten und zwischenmenschliche Interaktion ermöglicht werden. Natürlich ist es schwierig, alle Ziele gleichzeitig zu erreichen und damit werden Kompromisse unumgänglich. Das zeigt sich beispielsweise in der Umsetzung der Forderung nach mehr Wahlfreiheiten, wodurch einige Studiengänge von 90 ECTS auf 120 ECTS angestiegen sind.
Wofür zeichnen sich in Deiner Wahrnehmung ETH Studentinnen und Studenten – unsere zukünftigen Alumnae und Alumni – besonders aus?
Die ETH war schon immer für eine grundsolide und zugleich zukunftsorientierte Ausbildung bekannt. Das heutige Lehrangebot, wozu auch die extracurricularen Angebote gehören, bietet den Studierenden die notwendige Breite, um überfachliche Kompetenzen gezielt aufzubauen und zu trainieren. Überdies geben wir unseren Studierenden die typischen ETH-Werte auf ihren beruflichen als auch privaten Lebensweg mit: Verantwortung für die Umwelt und die Gesellschaft zu übernehmen, die Vielfalt an Meinungen zu schätzen wissen und stets nach Exzellenz zu streben. Es sind also die Bestrebungen, überfachliche Kompetenzen und die individuelle Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden positiv zu beeinflussen, durch welche sich die ETH von anderen Hochschulen abhebt. Es geht um die Schulung des Menschen als Ganzes.
Sprechen wir über Netzwerke. Durch welche Merkmale zeichnet sich ein attraktives Netzwerk für Dich aus?
Attraktive Netzwerke zeichnen sich durch Offenheit und Vertrauen zwischen den Mitgliedern sowie durch Diversität aus. Ein Netzwerk hilft einem, auf dem aktuellen Stand zu sein, neue Impulse zu bekommen und neue Kontakte zu knüpfen. Netzwerke müssen gleichsam Spass machen und nützlich sein. Zudem sollte es selbstverständlich sein, dass die Mitglieder eines Netzwerkes dieses aktiv und engagiert mitprägen und bereichern. Ich selbst habe über die Jahre sehr viele neue Menschen kennengelernt. Ein Netzwerk definiert sich jedoch nicht immer über quantitative Aspekte.
«Attraktive Netzwerke zeichnen sich durch Offenheit und Vertrauen zwischen den Mitgliedern sowie durch Diversität aus.»Sarah Springman
Wie nutzt Du Dein Alumni-Netzwerk?
Auch mein Tag hat nur 24 Stunden, daher wäge ich sorgfältig ab. Das Thema oder die Menschen müssen mich interessieren, sonst lohnt sich eine Investition nicht. Das erfordert nicht nur eine intelligente, sondern auch eine emotionale Entscheidung. Am Ende hofft man, dass die eigene Alma Mater immer wichtig bleiben wird. Deshalb werde ich mich wieder mit früheren Netzwerken in Verbindung setzen, wenn ich meine neue Stelle in Oxford antrete und es vielleicht heissen wird: «Oh, she aged well.» Netzwerke werden für mich auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, wie bald auch das Netzwerk des St. Hilda’s College.
Was gibst Du den ETH Alumnae und Alumni bezüglich ETH Alumni-Netzwerk mit auf ihren Weg?
Alumnae und Alumni der ETH sollen sich bewusst sein, was ihnen ihre Hochschule geboten hat und welche Möglichkeiten daraus für sie entstanden sind. Das ETH-Studium ist grösstenteils durch Steuergelder finanziert, und die ETH geniesst eine besondere Stellung in der Schweiz. Deshalb hoffe ich, dass die Alumnae und Alumni nicht nur über das ETH Alumni Netzwerk miteinander in Kontakt bleiben und voneinander profitieren werden, sondern auch die Rolle als Botschafter und Botschafterinnen für die ETH als Bildungsinstitution übernehmen werden. Ich denke, ohne ETH wäre die Schweiz als Wirtschaftsstandort nicht derselbe. Die ETH hat unter anderem Infrastrukturen und das Gesundheitswesen mitgeprägt, was grosse, eidgenössische Investitionen darstellten. Diese Unterstützung, Zusammenarbeit und diesen Austausch zwischen Politik, Lehre und Forschung wünsche ich mir weiterhin – und dies gemeinsam: togETHer!