Stefanie Zbinden: «Einige der Länder haben dank der EGOI ein nationales Frauenförderungsprogramm in der Informatik initiiert.»

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Stefanie Zbinden hat dieses Jahr als Teil des Organisationskomitees die erste Durchführung der European Girls’ Olympiad in Informatics lanciert. Stefanie hat sowohl ihren Bachelor als auch Master in Mathematik an der ETH absolviert. Diesen September hat sie ihr Doktorat an der Heriot Watt University in Edinburgh begonnen. Sie erzählt uns, warum Informatik immer noch ein stark männerdominiertes Fachgebiet darstellt, und mit welchen Mitteln jungen Frauen der Zugang dazu erleichtert werden kann.

Stefanie Zbinden

Diesen Juni warst Du aktiv an der ersten Durchführung des EGOI beteiligt. Worum geht es bei diesem Anlass?

An der Europäischen Olympiade in Informatik für Mädchen, kurz EGOI, treffen sich Schülerinnen aus ganz Europa, um gemeinsam eine Woche mit Informatik zu verbringen. In dieser Woche finden zwei Wettbewerbstage statt, an denen die Schülerinnen Informatikaufgaben lösen müssen. Die Wettbewerbstage stellen den Hauptteil der Veranstaltung dar. Daneben gibt es aber auch sehr viel Zeit für Austausch und gegenseitiges Kennenlernen. Aufgrund der anhaltenden Covid-19 Pandemie musste die erste EGOI online stattfinden.

Als Grundlage für die externe Seite EGOI diente die internationale Informatikolympiade (IOI), bei welcher sowohl Schüler als auch Schülerinnen teilnehmen können. Dieses Jahr konnte die IOI einen rekordmässig hohen Prozentanteil von weiblichen Teilnehmerinnen verbuchen: Ganze 4.8 Prozent aller Teilnehmenden waren weiblich.
Mit diesem Anteil an Frauen wollen wir uns nicht zufriedengeben. Wir sind davon überzeugt, dass es viel mehr Mädchen gibt, die sich bereits in der Schule für Informatik interessieren, und die Freude daran hätten, an einem Informatikwettkampf teilzunehmen.
Wir wollen Mädchen mit Interesse an Informatik die Möglichkeit bieten, an einem solchen Anlass mitzumachen und ihr Potenzial zu entfalten. Ich selber durfte als Schülerin an der EGMO (European Girls’ Mathematical Olympiad) teilnehmen. Die EGMO war es dann auch, die mich dazu bewogen hatte, die EGOI ins Leben zu rufen. Die Teilnahme an der EGMO hat mich sehr stark geprägt, und ich finde, dass informatikinteressierte Frauen auch positive Erfahrungen machen dürfen.
 

«Informatik ist auch etwas für Mädchen.»Stefanie Zbinden

Im Gymnasium hast Du an der Mathematikolympiade teilgenommen. Was hat Dich dazumal motiviert, an einem solchen Anlass mitzumachen?

Der Bruder meiner Kollegin wurde von meinem Lehrer angefragt, ob er Lust hätte, an der Schweizer Mathematikolympiade teilzunehmen. Er konnte die mathematischen Aufgaben, die er vom Lehrer bekommen hatte, aber nicht lösen. Das fand meine Kollegin so lustig, dass sie mir davon erzählt und die Aufgaben gezeigt hat. Ich fand die Aufgaben toll und wollte deshalb selber an der nationalen Olympiade teilnehmen, was ich dann auch erfolgreich tat.
Für mich ist das Traurige daran, dass der Bruder meiner Freundin und ich denselben Mathematiklehrer hatten. Er wurde angefragt und ist nicht weitergekommen, ich wurde nicht angefragt und bin weitergekommen. Wir verlieren viele Teilnehmerinnen, wenn sie erst gar nicht von ihren Lehrpersonen angefragt werden.

Wieso ist die EGOI aus Deiner Sicht wichtig?

Es ist kein Einzelfall, dass Schülerinnen erst durch jemanden anderen und nicht durch die Lehrperson von einem solchen Wettkampf erfahren und schliesslich besser als die angefragten Mitschüler abschneiden.
Gerade im Bereich der Informatik scheint das Umfeld oft männerdominiert zu sein. Es ist ganz natürlich, dass sich einige Mädchen dann nicht wohl fühlen. An einem Anlass wie der EGOI können sie ihr Potential unter gleichaltrigen Schülerinnen entfalten. Sie können so Selbstvertrauen gewinnen, sich auch ausserhalb mit Informatik zu beschäftigen.

Zudem ist es aus meiner Sicht wichtig, dass die Gesellschaft und vor allem Lehrpersonen sensibilisiert werden: Informatik ist auch etwas für Mädchen. Das ultimative Ziel ist es dann auch, dass sich Schülerinnen an einer «gemischten» Olympiade genauso wohlfühlen können, wie es ihre männlichen Mitschüler tun. Beides ist nicht einfach zu erreichen. Es hilft aber sicherlich, gerade an solchen Veranstaltungen weibliche Leiterinnen und Ansprechpersonen dabei zu haben, die dann auch an Schlüsselstellen eingesetzt werden.

Die EGOI gibt es deshalb, um einerseits mehr weibliche Teilnehmerinnen für einen solchen Anlass zu rekrutieren. Andererseits soll die EGOI dabei helfen, ein soziales Umfeld für informatikbegeisterte Frauen aufzubauen, sodass schliesslich ein internationales Netzwerk entsteht, und der Anteil von Frauen in der Informatik erhöht werden kann.
 

«Das Interesse war viel grösser, als wir es uns vorgestellt hatten.»Stefanie Zbinden

Wie lautet Euer Fazit zur ersten erfolgreichen Durchführung?

Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen erhalten, auch wenn das Erlebnis für die Teilnehmerinnen vor Ort sicherlich noch einprägsamer gewesen wäre. Jedoch haben wir uns sehr viel Mühe gegeben, viele soziale Events und Interaktionen miteinzubauen. Das kam bei den Teilnehmerinnen gut an. Deshalb sind wir mit der ersten Ausgabe der EGOI äusserst zufrieden.

Zu Beginn haben wir mit viel weniger Nationen gerechnet, da es im Bereich der Informatik vielen Ländern Mühe bereitet, genügend interessierte Frauen zu rekrutieren. Schliesslich haben grossartige 43 Nationen an der EGOI teilgenommen. Das Interesse war viel grösser, als wir es uns vorgestellt hatten. Somit wurden unsere Erwartungen bei weitem übertroffen.
Einige der Länder haben dank der EGOI ein nationales Frauenförderungsprogramm in der Informatik initiiert. Das ist besonders erfreulich. Ich freue mich auf 2022, wenn die EGOI in der Türkei hoffentlich vor Ort stattfinden kann.

Du hast im Bachelor und Master Mathematik an der ETH studiert. Was hat Dich zu diesem Studium bewogen?

Für ein Mathematikstudium an der ETH habe ich mich eigentlich nach meiner Teilnahme an der Mathematikolympiade mit 14 Jahren entschieden. Viele glauben, dass die Mathematik, die in der Schule durchgenommen wird, langweilig ist. Da stimme ich ihnen zu. Aber Mathematik beinhaltet so viel mehr: Es geht um das Lösen von Problemen, Rätseln. Viele Leute mögen solche Dinge, aber in der Schule findet diese Überschneidung oft nicht statt. Im Studium konnte ich das viel eher beobachten.
 

«Leider müssen sich Frauen an internationalen Wettbewerben oft aber zuerst einen gewissen Respekt erkämpfen.»Stefanie Zbinden

Wie hast Du die Geschlechterverteilung während Deines Studiums wahrgenommen?

Im Bachelor waren wir etwa 30 Prozent Frauen und 70 Prozent Männer. Im ersten Moment klingt das nicht nach so wenig Frauen. Wenn Du aber während des Studiums immer in kleinen Gruppen von sechs Personen arbeitest, dann sind davon durchschnittlich nur zwei Personen weiblich. Als Frau siehst Du in Deiner Gruppe also genau nur eine einzige andere Frau. Für Männer fühlt es sich dann vielleicht nach einem hohen Frauenanteil an. Aber für Dich als Frau begegnest Du so nur sehr wenigen Frauen. Ich persönlich habe das im Studium nie als ein Problem empfunden. In unseren kleinen Gruppen war ziemlich rasch klar, wer gut im Lösen unserer Mathematikaufgaben war.

Leider müssen sich Frauen an internationalen Wettbewerben oft aber zuerst einen gewissen Respekt erkämpfen. Sie muss zuerst beweisen, dass sie gut ist. Bei mir hat das gut geklappt, da ich irgendwann einen Medaillenspiegel vorzuweisen hatte. Das sollte aber aus meiner Sicht nicht nur deshalb so sein. Für mich könnte diese Verunsicherung auch ein Mitgrund sein, weshalb vielleicht mehr Frauen als Männer mit dem Mathematikstudium aufhören.

Was möchtest Du Studierenden mit auf den Weg geben?

Lasst Euch nicht davon abbringen, wenn Euch etwas Freude bereitet. Macht damit weiter, auch wenn es manchmal schwierig erscheint. Auch wenn Ihr viel Arbeit investieren müsst, Ihr schafft das, und es lohnt sich.  

EGOI




Die externe Seite European Girls' Olympiad in Informatics (EGOI) ist ein neuer Programmierwettbewerb für junge Frauen. Inspiriert vom Erfolg der European Girls' Mathematical Olympiad wurde nun ein ähnlicher Wettbewerb für Informatik ins Leben gerufen.

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