Eindrücke von den Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokio

HST Alumni

Knapp 30 HST Alumnae und Alumni haben aus Trainer-, Funktionärinnen- und Sportlersicht exklusive Einblicke in die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio erhalten: Louis Heyer, Tamara Mathis und Marcel Hug haben in packenden Referaten von der Vorbereitung, den Pre-Camps, dem Olympischen Dorf und den Wettkämpfen erzählt. Was bleibt sind spannende Geschichten, witzige Anekdoten und die Faszination für die Grossanlässe Olympics und Paralympics.

Fachevent

Die Kombination machts!

Aus drei unterschiedlichen Perspektiven haben wir am 29. Oktober 2021 Einblicke in die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio bekommen. Am Fachevent mit anschliessendem Apéro haben knapp 30 HST Alumnae und Alumni teilgenommen. Als erstes hat Louis Heyer von seinen Aufgaben als Cheftrainer der Mittel- und Langdistanz und der Forschung am Bundesamt für Sport (BASPO) erzählt. Danach gab Tamara Mathis als Chefin Leistungssport von Swiss Triathlon Einblicke in ihre Erlebnisse als Funktionärin - oder wie sie sagt: "Mami für alle(s)". Last but not least hat uns Marcel Hug seinen Weg an die Paralympics aufgezeigt und die vermeintlich einfache Formel für Champions erklärt.

Ja, dieses Virus…

Die Coronavirus-Pandemie hat die Olympischen und Paralympischen Spiele stark beeinflusst. Bereits die Pre-Camps waren davon betroffen. Einige Verbände konnten sich wie geplant in Japan akklimatisieren und wurden dabei kontinuierlich eskortiert. Dass die Eskorten die Bahn frei machen und die Autos bei Strassenquerungen anhalten, daran könnte man sich gewöhnen. Ein Nachteil der kompletten Abschottung von den Einheimischen war dafür zum Beispiel, dass es nicht möglich war, ein lokales Bier oder japanische Spezialitäten einzukaufen. Die Triathlet*innen konnten nicht wie geplant ins Pre-Camp und zeigten sich kreativ. Kurzerhand wurde in St. Moritz ein Hitzezelt aufgestellt und bis zuletzt dort trainiert. Trotz kurzfristiger Anreise hat es zum Glück noch zur Streckenbesichtigung gereicht, auch dank einer neuen Rekordzeit von nur drei Stunden für die Formalitäten am Flughafen.

Das Klima

32 Grad Celsius Lufttemperatur und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit ergeben eine gefühlte Temperatur von 45 Grad Celsius. Dies ist gemäss dem Leitfaden für Athletiktrainer*innen im schwarzen Bereich, was bedeutet: «extreme or hazardous level of risk». Der Ratschlag dazu lautet: «Erwäge die Veranstaltung zu verschieben. Muss sie stattfinden, sei auf höchster Alarmbereitschaft». Wie schafft man es, bei diesen Bedingungen einen Marathon zu laufen? Hitzeakklimatisation in den oben erwähnten Pre-Camps sowie die Anpassung der Pacing-Strategie waren notwendig. Zusätzlich halfen kühle Bäder, Kühlwesten, Ärmlinge und Stirnbänder gefüllt mit Liquid-Ice sowie Ice Slurry. So war das «Kühlprogramm» von Fabienne Schlumpf ab drei Stunden vor ihrem Marathonstart durchgetaktet. Am Start stand sie zitternd vor Kälte, das Absenken ihrer Körperkerntemperatur hat funktioniert. Ihre Kerntemperatur konnte somit für längere Zeit eine Erwärmung tolerieren, bevor sie in einen gefährlichen Temperaturbereich kam. So hat sie den Marathon erfolgreich auf dem 12. Rang abgeschlossen.
Die Kühlmassnahmen funktionieren nicht für jede*n und sind auch nicht für alle Athlet*innen und Sportarten notwendig. Die Massnahmen mussten im Training ausprobiert und evaluiert werden. Die angewandte Forschung am BASPO war sehr wichtig, um die neusten Forschungserkenntnisse im Trainings- und Wettkampfsetting anwendbar zu machen. Nicht alle Athlet*innen wollten oder konnten von diesem Knowhow profitieren - vor Kälte zitternd am Start zu stehen ist sicher keine angenehme Vorstellung - und entsprechend gab es leider einige Zusammenbrüche auf der Marathonstrecke. Auch die Logistik dahinter war enorm. Wie schafft man es, das Eisgetränk am Marathon-Streckenposten so kalt zu halten, dass es gerade noch trinkbar ist? Wo kühlt man die Eiswesten all dieser Nationen und Sportler*innen? Die Schweizer Delegation hat da zum Glück vorgesorgt und zwei Gefriertruhen gekauft, die einen guten Dienst erwiesen.

Sogar das Wasser war (zu) warm

Die Triathlet*innen hatten auch im Wasser mit warmen Temperaturen zu kämpfen, denn 32 Grad Celsius sind für Höchstleistungen beim Schwimmen nicht gerade vielversprechend. Noch mehr gaben aber die Pestizidwerte zu sprechen. Die Organisator*innen hatten viel investiert, um die Werte im Wasser zu reduzieren. Eine Schlüsselrolle dabei haben riesige Stoffschranken zwischen der Bucht und dem offenen Meer gespielt. Leider hat der Taifun, der just vor den Wettkämpfen wütete, einen Baumstamm in diese Schranken gespült, welcher die Barriere leicht beschädigte. Dies hatte ausgereicht, dass die Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten waren. Alles Mögliche wurde unternommen, um die Werte zu senken, inklusive unterirdischer Turbinen. Zum Glück sank der Wert kurz vor dem Wettkampf auf ein akzeptables Niveau.
Das kühle, regnerische Wettkampfwetter war - in Bezug auf die Hitze - angenehm, jedoch ganz anders als die Bedingungen, auf die man sich vorbereitet hatte. Leider war das Glück während des Wettkampfs nicht auf Schweizer Seite. Pech bei der Startplatzwahl und nur einige Sekunden Rückstand beim Start der Fahrradstrecke auf die Spitzengruppe haben dazu beigetragen, dass es für Nicola Spirig diesmal nicht für eine Medaille gereicht hat.

Medaillenregen für Marcel Hug

Anders sieht die Statistik bei Marcel Hug aus: Der Rollstuhlsportler hat an den Paralympics gleich vier Goldmedaillen gewonnen. Eine wahnsinnige Leistung, die eigentlich nicht mehr zu toppen ist. Wie kam es dazu?
Die Formel für Champions, welche Marcel Hug als Junior von seinem Trainer mit auf den Weg bekommen hat, ist einfach: X + 1. Wenn er im gestrigen Training 36 km/h gefahren ist, dann versucht er, heute einen Kilometer pro Stunde draufzulegen. Wenn im Wettkampf beispielsweise fünf Attacken gefahren werden, versucht er alle mitzugehen und am Schluss eine entscheidende Attacke mehr zu machen. Sein Ziel also: «Ich will immer besser sein, als ich es bisher war.» Nicht nur seine persönliche Form hat er für die paralympischen Spiele optimiert, sondern auch die seines Rennrollstuhls.
Mit glänzenden Augen erzählt er von der Entwicklung des Rollstuhls, welche im Geheimen stattfand. Neben dem regulären Training hat er mit Ingenieur*innen diskutiert, seine Inputs eingebracht, ist im Windkanal gefahren und hat immer wieder getestet. «Es war sehr spannend und ich habe viel gelernt – von Steifigkeit der Materialien, über den Herstellungsprozess bis hin zur Optimierung der Aerodynamik». Trotz des High-Tech Rollstuhls «OT FOXX», der auch in Zusammenarbeit mit dem SMS Lab der ETH entwickelt wurde, lief nicht alles ganz rund. Vor dem 800-m-Rennen holte sich Marcel Hug beim Einfahren einen platten Reifen. Zum Glück hatte ihm sein Trainer ein Ersatzrad aufgeschwatzt. Die 15 Minuten vor dem Start haben gerade noch gereicht das Rad zu wechseln. Auch während dem Marathon hatte Marcel Hug mit dem Material zu kämpfen - der Gummi auf dem Triebreifen löste sich. Dank des Backup-Harzes am Rollstuhl hatte er aber doch noch genug Grip, um mit dem Handschuh anzugeben. «Ich habe keine Attacken gemacht und einfach gehofft, dass es noch ins Stadion für die Zieleinfahrt reicht.» In seiner bescheidenen Art erzählt er, dass es ja schlussendlich «ganz gut» kam und diese unvorhersehbaren Herausforderungen auch Teil der Faszination für Grossanlässe wie die Paralympics seien.

Faszination

In diesem Punkt waren sich alle drei Referent*innen einig: Die Olympischen und Paralympischen Spiele sind immer wieder faszinierend. Die Flexibilität und das Improvisationstalent, das man braucht, um kurzfristig auf Planänderungen zu reagieren, sind Teil dieser Faszination. Das Leben im Olympischen Dorf mit den unterschiedlichsten Nationen und Sportarten ist herausfordernd und spannend zugleich. Und die Emotionen sind enorm. Die Siegenden im Blitzlicht, daneben diejenigen, die ihren eigenen Erwartungen nicht gerecht wurden, und das alles in einem Dorf, Seite an Seite.

Nach Tokio ist vor Paris, die Vorbereitungen laufen bereits wieder, und die Faszination für die Spiele bleibt und steckt an. Das hat auch das Publikum des Fachevents gemerkt. Vielen herzlichen Dank an dieser Stelle allen Referent*innen für die sehr authentischen Referate, die persönlichen Geschichten, spannenden Einblicke und witzigen Anekdoten.  

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