Vera Luginbühl: «Der Austausch über die Disziplinen hinaus ist meine Inspiration.»

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ETH Alumna Vera Luginbühl studierte und promovierte an der ETH in der Pharmazie. Viele Jahre arbeitete sie als Professorin an einer Hochschule und baute ein Labor und eine Forschungsgruppe auf. Heute ist sie in der Privatindustrie als medizinische Verantwortliche für Zell- und Gentherapie tätig. Im Interview erzählt sie, wie sie in die Onkologie gekommen ist.

Vera Luginbühl

Was wolltest Du als Kind werden?

Ich wollte Zirkusartistin werden. Ich liebte Zirkusvorstellungen und turnte sehr gerne. Die Vorstellung, im Wohnwagen um die Welt zu reisen, gefiel mir. Später, als meine Kinder noch klein waren, mieteten wir für drei Monate ein Wohnmobil und reisten durch Europa. So lebte ich meinen Traum mit meinen Kindern und meinem Mann im Kleineren.
 

Mit dem Pharmaziestudium der ETH habe ich als Mutter sehr gute Optionen.Vera Luginbühl

Du hast dann an der ETH Zürich Deinen Master und Doktorat in Pharmazie abgeschlossen. Was hat Dich zu einem Studium an der ETH inspiriert?

Die Berufswahl fiel mir nicht leicht. Ich hatte keine klare Präferenz und viele Interessen. Zwischen der Matura und dem Studium war ich eineinhalb Jahre in den USA. Diese Zeit brauchte ich, um herauszufinden, was ich machen will. Eine kurze Zeit liebäugelte ich noch mit einem Studium in den USA.

Meine Wahl fiel schliesslich auf die Schweiz und die Pharmazie. Die ETH hatte damals schon einen exzellenten Ruf in der Lehre und Forschung. Der Informationstag zum Studium gefiel mir sehr gut, die Verbindung zwischen Naturwissenschaften und praktischer Anwendung in der Medizin überzeugte mich. Der Eindruck bestätigte sich dann während des Studiums: Jeden Nachmittag vertieften wir die Theorie mit praktischen Übungen wie zum Beispiel botanischen Exkursionen, oder wir experimentierten im Chemielabor.

Schon bei der Berufswahl war mir klar, dass ich Kinder haben möchte. Ich wollte insofern nicht nur eine breite Palette von Berufsmöglichkeiten haben, auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war mir wichtig. Mit dem Pharmaziestudium der ETH habe ich als Mutter sehr gute Optionen.

Du warst lange Jahre Professorin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Mitte 2018 hast Du in die Privatindustrie gewechselt. Was hat Dich dazu motiviert, und wie war der Wechsel für Dich?

Gleich nach dem Doktorat bewarb ich mich auf Anraten und mit der Unterstützung meines ETH Professors an der Fachhochschule. Während der Zeit an der ZHAW lernte ich sehr viel. Meine besten Lehrmeister aber waren die Studierenden. Durch die Betreuung der Bachelor- und Masterarbeiten pflegte ich mit einigen Studierenden einen engeren Austausch und bin mit einigen von ihnen heute noch in Kontakt.

Ich baute ein Labor für Pharmazeutische Technologie auf, in dem ich mich verwirklichen konnte. Hier konnte ich frei und unabhängig forschen. Die Institution veränderte sich, und es kam der Zeitpunkt, wo verschiedene Rahmenbedingungen für mich nicht mehr gegeben waren. Ich fragte mich, ob ich diese Tätigkeit weitere 20 Jahre ausüben möchte.

Bei der ZHAW arbeitete ich immer wieder an Projekten mit der Industrie, die angewandte Forschung führten wir mit Firmen durch. Insofern waren die beiden Welten für mich nie streng getrennt. Ich hatte ein breites Netzwerk und viele Kontakte, auch aus der ETH Zeit, so dass mir der Übertritt in die Industrie relativ leicht möglich war.

Wie betrachtest Du den Wechsel heute?

Ich bin in einem unglaublich spannenden Arbeitsgebiet. Ich wollte zudem eine internationale Komponente in meinem Berufsalltag. Das Team ist über ganz Europa verteilt. Mein Chef arbeitet beispielsweise in Oslo. Eine virtuelle Arbeitsumgebung war und ist bei uns Normalität.

Zurzeit lerne ich wieder sehr viel. Ich vertiefe mich in die Prozesse des Unternehmens. Ich arbeite im Gebiet der Zell- und Gentherapie, einer personalisierten Therapieform zur Behandlung von bestimmten Blutkrebsarten. Die Therapie wird individuell hergestellt, wobei die Zellen für die Herstellung des Produktes direkt von der Patientin oder dem Patienten stammen und als Ausgangsmaterial verwendet werden. Dazu arbeiten wir eng mit den Ärztinnen und Ärzten zusammen. Das «lebende» personalisierte Medikament ist die neue Generation der Arzneimittel.

Wir wissen, wir arbeiten für ein Kind mit Leukämie oder einen Familienvater. Bei schwerwiegenden Fällen ist Zeit ein wichtiger Faktor. Dann lassen wir alles andere stehen und liegen. Wenn unser Produkt nicht wirkt, sind das schwierige Momente.Vera Luginbühl

Du hast es schon erwähnt, Du bist in Deinem Team die medizinische Verantwortliche für Zell- und Gentherapie in der Schweiz. Wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?

Ich kümmere mich um den wissenschaftlichen Teil dieser Therapien. Wenn alle anderen Behandlungsmethoden nichts helfen, kommt unsere Therapie zum Einsatz, oft als letzte Chance. Wenn ich also eine dringende Patientenanfrage erhalte, ist meine Tagesplanung über den Haufen geworfen. Insofern ist jeder Tag anders, und meine Aufgaben sind abwechslungsreich.

Auch wenn ich keine Namen kenne, durch den Kontakt mit den Ärztinnen und Ärzten bin ich trotzdem eingebunden. Wir wissen, wir arbeiten für ein Kind mit Leukämie oder einen Familienvater. Bei schwerwiegenden Fällen ist Zeit ein wichtiger Faktor. Dann lassen wir alles andere stehen und liegen. Wenn unser Produkt nicht wirkt, sind das schwierige Momente. Aber wir können eine neue Therapie in der Onkologie anbieten, die vor Kurzem noch undenkbar schien. So direkt unterstützen und etwas bewirken zu können, das motiviert mich.

Hast Du einen Tipp für die heutigen Studierenden?

Unterschiedliche Perspektiven im privaten sowie beruflichen Umfeld, dieser Austausch und der kritische Disput sind ein Gewinn für mich und haben mich stets weiter gebracht. Natürlich muss ich auch Kritik hören wollen und sie schätzen.

Der Austausch über die Disziplinen hinaus ist meine Inspiration, neue Lösungswege und Vorgehensweisen auszuprobieren. Zum Beispiel sind die Diskussionen mit einer guten Freundin, auch ETH-Doktorin und Expertin in der Prozesstechnologie, auf einer anderen, vielfältigeren Ebene, als wenn ich mit Personen aus meinem eigenen Fachgebiet spreche. Heute werden komplexe Fragestellungen nicht mehr innerhalb einer einzigen Spezialdisziplin gelöst, sondern in neuen und ungewohnten Zusammenarbeiten. Ich sehe zum Beispiel immer öfter, wie Personen aus der Kunst oder Ethik mit Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern in Forschungsteams zusammenarbeiten.

Die ETH hat zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen und meine Karriere stark geprägt. Dafür bin ich sehr dankbar.  

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