Anna Bischofberger: «Ich bin nicht nur Doktorandin, sondern als vollständiger Mensch Teil dieses Arbeitsumfelds.»
Alumni Porträts
ETH Alumna Anna Bischofberger machte ihren Master in Umweltnaturwissenschaften. Aktuell erforscht sie als Doktorandin in der Gruppe Pathogenökologie Antibiotikaresistenzen. Noch während des Studiums veröffentlichte sie unter dem Namen Anna Stern Romane und gewann 2020 den Schweizer Buchpreis. Vielseitig interessiert geht sie ihren verschiedenen Leidenschaften nach. Das erscheint als Spagat zwischen zwei Welten. Es ergeben sich aber durchaus Parallelen zwischen der Forschung und dem Schreiben.
Was wolltest Du als Kind werden?
Ich bin vielfältig interessiert und habe auch verschiedene Begabungen. Ich konnte mich lange Zeit nicht entscheiden, was mich bis ins Studium begleitete. Eine gewisse Zeit wollte ich Meeresbiologin werden, da mich Wasser enorm fasziniert. Das Studium gibt es so aber nicht in der Schweiz. Die Matura schloss ich sehr gut ab, aber es gab kein überdurchschnittliches Fach. Daher ergab sich mir aus den Fächern auch kein Tipp für meine Berufswahl.
Du hast an der ETH Zürich den Master in Umweltwissenschaften absolviert. Was hat Dich zu einem Studium an der ETH inspiriert?
Ich fing ein Studium in Germanistik und Skandinavistik an, merkte dann aber schnell, dass es mir zu einseitig war. Mir fehlten die Zahlen und das Rationale. Ich wechselte daher aufgrund von Gesprächen mit Freunden an die ETH. Damals waren im ersten Jahr die Kurse in den Studiengängen Agrarwissenschaft, meiner Wahl, und Umweltnaturwissenschaften fast gleich. Mit Blick auf das zweite Jahr fand ich die Kurse in den Umweltnaturwissenschaften spannender. Die breite Abdeckung von Fächern begeisterte mich, da man sich beispielsweise auch mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Ich konnte glücklicherweise im zweiten Jahr ohne Auflagen wechseln.
Aktuell arbeitest Du an der ETH an Deinem Doktor in der Gruppe Pathogenökologie. Worum geht es bei Deiner Arbeit?
In der Gruppe schauen wir uns ökologische beziehungsweise Umweltfaktoren an, welche das Leben von Pathogenen beeinflussen. Ich schaue mir dabei vertieft Antibiotikaresistenzen an. In meinen ersten beiden Projekten erforschte ich Assoziationen zwischen Antibiotikaresistenzen und Resistenzen gegen andere mikrobielle Stoffe. Antibiotika sind ja nicht die Einzigen. Prominentes Beispiel sind Desinfektionsmittel. Ich konnte aufzeigen, dass spezifische Resistenzmechanismen sowohl gegen Antibiotika als auch gegen gewisse Desinfektionsmittel wirksam sind. Aktuell arbeite ich an einem dritten Projekt, das aber in eine ganz andere Richtung geht. Wenn alles gut geht, kann ich 2021 mein Doktorat abschliessen.
Mir gefällt die gelebte Interdisziplinarität am Institut immer noch. Wir haben die Möglichkeit, auch über die eigene Disziplin hinauszuschauen. Dies erlaubt es, dass ich nebenbei noch schreibe. Ich bin nicht nur Doktorandin, sondern als vollständiger Mensch Teil dieses Arbeitsumfelds.
Du hast schon während des Studiums unter dem Namen Anna Stern Romane geschrieben. Wer sollte etwas von Dir lesen?
Über das Schreiben lebe ich meine Begeisterung für die Sprache aus. Da sehe ich auch Parallele zu meiner Forschung: Ich suche nicht in erster Linie Lösungen, sondern beobachte und teile diese Beobachtungen mit. Mit meinen Romanen versuche ich Fragen zu stellen und Missstände zu ergründen, wie zum Beispiel der Umgang der Menschen untereinander oder mit der Umwelt.
Wer die Herausforderung sucht, oder sich gern auf offene Texte einlässt, findet bei mir dieses Engagement. Ich lasse bewusst Lücken, damit sich die Lesenden fragen können, was sie in dieser Situation tun würden. Wenn ich ein Buch lese, finde ich das spannend, also setze ich das in meinen Büchern um. Denn meines Erachtens ist es nicht die Aufgabe der Literatur, Lösungen zu finden.
Am Anfang eines Texts steht immer eine Beobachtung oder ein Erlebnis, das ich nicht verstehe, das ich schreibend zu ergründen versuche. Im Text habe ich eine gewisse Kontrolle über das Geschehen und das Erlebnis ist am Ende genau verortbar, nämlich im Text. Mit meinen Texten behandle ich also eine Frage, aber nicht, um sie zu beantworten. Die Lesenden begleiten mich auf dem Weg der Antwortsuche. Die Antworten muss aber jede und jeder für sich selber finden. Wer also gern zum Einschlafen Bücher liest, ist mit meinen Texten womöglich schlecht bedient.
Du hast schon verschiedene Auszeichnungen gewonnen, aktuell ist der Schweizer Buchpreis. Ganz herzliche Gratulation dazu. Was motiviert Dich?
Für mich ist das Schreiben eine zweite Art der Forschung, einfach ausserhalb des Labors. Ich besitze eine grosse Neugierde und möchte entdecken. Ich möchte auch aufzeigen, was auf den ersten Blick vielleicht nicht sichtbar ist. Das sind auch die Gründe, wieso zwischen meinen beiden Arbeitswelten viele Parallelen bestehen.
Noch während des Studiums veröffentlichte ich mein erstes Buch. Schon damals war mir klar, solange ich meine beiden Leidenschaften vereinbaren kann, möchte ich das auch machen. Ich ging aber davon aus, dass ich mich früher oder später für eine entscheiden muss. Bis jetzt bestand aber immer die Offenheit beziehungsweise die Bereitschaft, mir die Flexibilität zu gewähren. Momentan würde es mir sehr schwierig fallen, mich entscheiden zu müssen.
Mich motiviert dieses Umfeld an der ETH extrem. Ich bin ein Mensch mit verschiedenen Hüten, Sorgen und Leidenschaften. So werde ich auch wahrgenommen beziehungsweise geschätzt. Ich habe eine Berechtigung als Mensch an sich und nicht nur über meine Funktion als Forschende. Daher arbeite ich auch gern. Die Vorgesetzten schaffen es, diese Kultur aufrechtzuerhalten, obwohl die Forschung sehr kompetitiv ist.
Hast Du einen Tipp für die heute Studierenden?
Man muss die verschiedenen Interessen und Leidenschaften pflegen. Es ist wichtig, auch wenn diese manchmal nur schwierig mit dem Studium kombinierbar sind. Diese brauchen Platz, man muss sich dafür Zeit nehmen. Manchmal muss man für Prüfungen lernen. Man sollte aber nicht vergessen, dass diese Interessen einem auch etwas geben.
Aus meiner Erfahrung gibt es immer einen Weg, verschiedene Interessen zu kombinieren. Man muss offen sein, und das Bedürfnis seiner Umgebung auch kommunizieren. Dann ist oft auch die Bereitschaft auch da, das zu akzeptieren und kreative Lösungen zu finden.