Hans Wanner: «Kulturelle Unterschiede führen dazu, dass man Probleme anders analysiert.»
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Hans Wanner studierte und promovierte an der ETH Zürich in Chemie. Nach dem Doktorat nahm er eine Stelle beim damaligen Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung an, das war sein Einstieg in den nuklearen Bereich. 2010 wurde er Direktor vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat, 2011 Vorsitzender der Western European Nuclear Regulators Association. Rückblickend auf eine bewegte Karriere ist er überzeugt, dass kulturelle Unterschiede, Probleme anzugehen, wichtig und bereichernd sind.
Was wolltest Du als Kind werden?
Ich hatte keinen Traumberuf. Als Teenager experimentierte ich gerne mit allem Möglichen. Auch nahm ich gerne alte Geräte auseinander, um zu schauen, was machbar ist. Zuerst lagen meine Interessen eher bei der Elektrotechnik. Kurz vor der Matura begann ich mit einem Baukasten chemische Experimente. Um diese Reaktionen zu verstehen, stellten sich mir so viele Fragen. Also fragte ich meinen Chemielehrer an der Kanti. Allzu oft gab er mir die Antwort, dass ich aufgrund fehlender Grundlagen das nicht verstehen könne. Das fand ich sehr frustrierend, deswegen entschied ich mich für Chemie.
Du hast an der ETH Zürich Chemie studiert und promoviert. Was hat Dich an der ETH inspiriert?
Die Wahl der Uni besprach ich mit besagtem Chemielehrer. Seine Empfehlung brachte mich an die ETH. Zum Doktorat entschloss ich mich, weil ich mir alle Möglichkeiten offenhalten wollte, auch die akademische Laufbahn. Für die Zeit nach der ETH entschied ich mich für einen PostDoc, die Stelle in den USA mit Stipendium hatte ich schon. Dann rief mich ein ehemaliger Mitdoktorand an und wies mich auf eine Stelle beim Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung, heute Paul-Scherrer-Institut (PSI), hin. Trotz der Stelle in den USA war ich offen und schaute es mir genauer an.
Mein Fachgebiet war das Verhalten von Schwermetallen in wässriger Lösung, das auch in der Umweltchemie von Bedeutung ist. Die Stelle war im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Man wollte das Verhalten der Abfälle im tiefen Grundwasser modellieren. Das Thema fand ich spannend, da es angewandte Chemie war. Diese Gelegenheit liess ich mir nicht entgehen und entschied mich gegen den PostDoc, der weiter in der Grundlagenforschung gewesen wäre. Das war mein Einstieg in den nuklearen Bereich.
Ungefähr ein Jahr nachdem Du Direktor vom ENSI (Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat) wurdest, passierte das Reaktorunglück in Fukushima. Wie hast Du diese Katastrophe erlebt?
An Fukushima war für mich überraschend, wie viel Panik und Aufregung das in der Schweiz auslöste. Es war ein Unfall im fernen Japan mit keinerlei messbaren Konsequenzen für die Schweiz. Über lange Zeit beherrschte das Thema den gesamten deutschsprachigen Raum, in anderen Sprachregionen flachte das Interesse schneller ab. Wir standen in der Zeit den Medien zur Verfügung, um über die Vorgänge in Fukushima zu berichten. Denn wir waren die zuständige Schweizer Behörde und waren dank unserem Fachwissen in der Lage, die Geschehnisse in Japan zu analysieren. Unsere Fachleute hatten zwar Kontakte in Japan. Die erreichte man während dieser Zeit aber natürlich kaum.
Wenige Tage nach dem Unfall in Fukushima richtete sich der Fokus der Medien auf die Schweiz. Was ist mit unseren Kernkraftwerken? Sind sie genügend geschützt? Was in Japan passieren kann, ist auch in der Schweiz möglich, war die Überzeugung. In Mühleberg steht der gleiche Reaktortyp wie in Fukushima. Das ENSI musste sich rechtfertigen, warum es in der Schweiz den Betrieb solcher Anlagen toleriert.
Es gibt aber wichtige Unterschiede zu Japan: In der Schweiz hatten wir schon immer eine hohe Sicherheitskultur. Laufend wurden die Anlagen verbessert, sicherheitstechnisch aufgerüstet. So wurden beispielsweise die Kernkraftwerke Beznau und Mühleberg nach rund zwanzig Jahren Betrieb entsprechend der Weiterentwicklung der Sicherheitstechnik massiv nachgerüstet. Dadurch konnte das Risiko eines schweren Unfalls mit radioaktiver Verseuchung der Umwelt auf ein Minimum reduziert werden. Das hatte man in Japan versäumt.
Anfang 2011 plante man in der Schweiz noch weitere Atomkraftwerke, seit Mitte 2011 ist der Atomausstieg beschlossene Sache. Wie war die Kehrtwende für Dich?
Sie war für mich politisch nachvollziehbar. Sie war auch im Sinn der Bevölkerungsmehrheit. Auch einige Jahre später, als über das neue Energiegesetz abgestimmt wurde, war die Mehrheit immer noch für die neue Energiestrategie. Unsere Kernkraftwerke sind zwar sehr gut geschützt, aber wir möchten nicht mit dem Restrisiko leben. Allerdings wurde der Entscheid aber schon kurz nach Fukushima gefällt. Ohne dass man wusste, wie man die fehlende Energie ersetzen will. Für meine Arbeit spielte er aber keine grosse Rolle: Der Entscheid war rein politisch und nicht sicherheitstechnisch, und die bestehenden Werke durften weiter am Netz bleiben. Solange die Sicherheitsanforderungen erfüllt werden.
Von 2011 bis 2019 warst Du ausserdem Vorsitzender der WENRA (Western European Nuclear Regulators Association). Was bedeutete der Austausch mit anderen Ländern für Dich?
Der Austausch mit anderen Ländern ist sehr wichtig. Kulturelle Unterschiede führen dazu, dass man Probleme anders analysiert. Man kann also viel voneinander lernen. Nach Fukushima fragte ich mich, warum wir trotz regem internationalem Austausch nicht wussten, dass die Anlage gegen dort gängige Naturkatastrophen so schlecht geschützt war.
Deshalb haben wir entschieden, dass sich das ENSI international noch stärker engagiert. Wir fanden, dass wir dank unserer Kultur vieles gut machen. Das wollten wir weitergeben. Im November 2011 wurde ich als Vorsitzender der WENRA gewählt. Da sitzen alle Chefs der europäischen Nuklearaufsichtsbehörden, was eine sehr interessante Gruppe ist. Man kennt sich und tauscht Meinungen aus. Durch diesen regelmässigen Kontakt entstanden auch Freundschaften. Ich fand das enorm bereichernd.
Jetzt bist Du pensioniert und kannst auf eine lange und spannende Karriere zurückschauen. Was für einen Rat würdest Du den Studierenden von heute mitgeben?
Ich bin immer meinen Weg gegangen. Wenn Euch also etwas fasziniert, wenn Ihr etwas gern macht, geht Eurer Neigung nach. Man kann das am besten, und man ist motiviert. Wenn Ihr etwas wirklich wollt, dürft Ihr den nötigen Aufwand nicht scheuen. Denn es gibt immer Aspekte des Studiums, welche mühsam sind. Das gehört dazu. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass etwas anderes einfacher ist. Egal ob im Beruf oder privat, es gibt immer wieder Sachen, die man nicht gerne macht. Dann ist es gut, wenn man es gewöhnt ist, sich durchzubeissen.
Man kann versuchen, möglichst geradlinig konkrete Ziele zu verfolgen. Ich aber habe einen anderen Weg eingeschlagen: Ich habe Gelegenheiten, welche ich nach Abwägen passend fand, stets ergriffen. Ich war beispielsweise auch nur ein Jahr am PSI, als ich eine Stelle bei der OECD in Paris annahm. Das war eine kurze Zeit, was unüblich war. Aber es passte, also machte ich es.