Fajer Mushtaq: "In der Start-up-Welt ist jeder Tag ein Abenteuer."

Alumni Porträts

ETH Alumna Fajer Mushtaq absolvierte ihren Master und Doktor in Maschinenbau. Drei Monate nach dem Start ihres Doktorats entschied sie, sich auf eine Lösung für die Entfernung von Mikroverunreinigungen in Abwasser zu fokussieren. Dank des Lockdowns als Folge des Coronavirus konnten sie und ihr Team am wirtschaftlichen Aspekt ihres Projekts arbeiten. Im Mai 2020 gründete sie Oxyle mit, und im Juni gewann das Unternehmen den "Grand Prize of Venture".

Fajer Mushtaq

Was wolltest Du als Kind werden?

Ich hatte keine klare Idee, was ich als Erwachsene werden wollte. Aber ich war in einer besonderen Situation: Ich wuchs in einer Familie von Ärzten auf. Bei jeder Familienzusammenkunft war dies Thema Nummer eins. Alle Kinder meiner Familie wussten von klein auf, dass es Überstunden und die ganze Aufmerksamkeit und Energie für die Arbeit aufzubringen heisst. Ich konnte aber auch erkennen, dass der Beruf meiner Eltern ihnen viel Zufriedenheit und grosse Freude zurückgab. Obwohl wir eine Tradition für den medizinischen Beruf in unserer Familie hatten, lag mein Herz aber woanders.

Anstelle mich auf einen Beruf zu konzentrieren, folgte ich einem breit ausgelegten Konzept: Wie meine Eltern wollte ich eine positive Veränderung für die Gesellschaft bewirken und etwas Eigenes kreieren. Das musste nicht unbedingt ein 08/15-Job sein. Ich wollte glücklich sein und Stolz für meine Arbeit verspüren. Mein Lieblingsfach in der Schule war nicht Biologie. Aber ich lernte gerne neue Konzepte in der Chemie, Physik und Mathematik. So entschied ich mich, einen Bachelor in Ingenieurswissenschaften zu verfolgen. Es war nicht einfach mit der Familientradition zu brechen aber jetzt habe ich ja auch einen Doktortitel.

Du warst in Birmingham für Deinen Bachelor und bist nach Zürich für Deinen Master und Doktor umgezogen. Warum der Wechsel?

Ich war etwa vier Jahre in Grossbritannien. Während den drei Jahren an der Universität habe ich ein Zwischenjahr gemacht und in der Industrie gearbeitet. Nach dieser Arbeitserfahrung wollte ich an einer angesehenen Universität weiterstudieren. So kam ich an die ETH Zürich. Für Ingenieure bietet die ETH eine der besten Ausbildungen weltweit. Als ich für den Master «Mikro und Nanosysteme» angenommen wurde, wechselte ich nach Zürich. Der Entscheid war durch das weltweite Ranking der ETH beeinflusst, und weil ich eine neue Herausforderung suchte. Nach der positiven Erfahrung im Master entschied ich, meine Doktorarbeit ebenfalls hier zu machen.

Du hast nach Deiner Doktorarbeit Oxyle gegründet. Was steckt dahinter?

Ich wurde für meine Doktorarbeit angestellt, um neue Materialien für biomedizinische Anwendungen zu entwickeln. Nach zwei oder drei Monaten bemerkte ich, dass ich nach jeder Arbeit mit Chemikalien im Labor Abwasser produzierte. Um mit diesem verschmutzten Wasser richtig umzugehen, musste ich ein spezielles Protokoll befolgen. Abwasser kann beispielsweise mit Chemikalien, Lösungsmitteln oder Schwermetallen verunreinigt sein und darf nicht einfach ins Spülbecken gekippt werden. Stattdessen mussten wir solches Wasser einmal pro Woche zum Sammelpunkt der ETH bringen, damit dieses verbrannt wurde. Dieser Ablauf ist einerseits nicht nachhaltig und andererseits hat sich gezeigt, dass die Asche, welche durch das Verbrennen entsteht, Toxine in die Luft abgibt. Grosse Unternehmen folgen dem gleichen Protokoll, um giftiges Abwasser zu entsorgen. Ich realisierte, dass dieser Ablauf ein globales Problem darstellt. So konzentrierte ich meine Forschung auf dieses Thema, und das Resultat davon ist Oxyle.

Oxyle ist ein Umwelttechnikunternehmen, welches Abwasser reinigt, indem es hochproblematische Mikroverunreinigungen in Abwasser umweltfreundlich beseitigt. Unsere Technologie kann organische Verunreinigungen wie Hormone, Antibiotika, Arzneimittel, Pestizide, Insektizide, Chemikalien und eine Reihe anderer Schmutzstoffe aus Abwasser entfernen. Verunreinigungen dieser Art stellen signifikante Gesundheitsrisiken für Menschen und das aquatisches Ökosystem dar. Diese Schadstoffe sind biologisch nicht abbaubar und akkumulieren sich in der Natur wegen ihrer beständigen Art. Existierende Verfahren wie Filtrations- oder Absorptionstechniken bieten keine wirksame Behandlung.

Es ist gut, dass wir in einer Zeit leben, in der unser Thema viel Aufmerksamkeit erhält. Um die aktuelle Debatte zu nutzen, fokussierten wir uns spezifisch auf Schadstoffe, welche in den Medien behandelt wurden wie etwa verbotene Pestizide oder Ethylstoffe. Dank unserer kostengünstigen und nachhaltigen Behandlung können wir über 95 Prozent dieser Schadstoffe in kürzester Zeit entfernen. Unsere Reaktoren behandeln das Abwasser, welches danach in eine normale Kläranlage geschickt werden kann. So muss man es nicht verbrennen.

Oxyle bietet also eine Lösung an, welche das weltweite Problem der Wasserverschmutzung angeht. Glücklicherweise ist das Umweltbewusstsein in der Schweiz hoch. Wir hoffen auf strengere Gesetze, welche Druck gegen gewisse Industrien aufbauen.

Was motiviert Dich, und welche Herausforderungen beschäftigen Dich momentan?

In der Start-up-Welt ist jeder Tag ein Abenteuer. Wir sind motiviert zu beweisen, dass unsere Technologie nicht nur im Labor, sondern auch bei unseren Kunden funktioniert. Empfehlungen und Feedback sind für uns sehr wichtig, da wir immer noch viel lernen und verbessern müssen. Momentan arbeitet unser Abwasserbehandlungsprototyp in einer grossen Schweizer Abwasserreinigungsanlage. Bis jetzt funktioniert unser Verfahren gut, und wir erhalten viele versprechende Resultate. Im Oktober werden wir dieses Pilotprojekt erfolgreich abschliessen und bereit sein, die Resultate interessierten Kundengruppen und Investoren zeigen zu können. Dies ist unser erstes bezahltes Kundenprojekt, und es macht uns glücklich und stolz. Unser Ziel ist es also, unsere Innovation so bald wie möglich «raus zu bringen».

Ganz viel Glück für Euer Unterfangen. Im Juni 2020 habt Ihr den "Grand Prize of Venture" gewonnen. Was ist das für ein Preis, und was bedeutet er Dir?

Für uns haben sich die eingeführten Restriktionen während COVID-19 im Nachhinein als Segen erwiesen. Um beim Venture Wettbewerb mitzumachen, mussten wir uns bis Ende März bewerben. Bis zum Lockdown war er aber nicht auf meinem Radar. Als wir Mitte März nicht mehr in den Labors der ETH arbeiten durften, beschloss ich, meine Arbeitszeit zu Hause dafür zu nutzen, unseren Business-Plan zu verbessern und nach Kapital zu suchen. Einen Tag vor der Bewerbungsfrist reichten wir unser Dossier ein. Dieses Jahr waren ungefähr 350 hochinnovative und vielversprechende Unternehmen am Start, und einige waren schon vor Jahren gegründet worden. Als wir uns auf den Wettbewerb einliessen, gab es uns juristisch noch nicht. Wir fühlten uns also grossem Druck ausgesetzt, was uns dazu veranlasste, die Geschäftsstrategie von Oxyle noch weiter zu entwickeln. Wir sahen den Wettbewerb als Instrument, um aufgrund unseres frühen Entwicklungsstadiums zu lernen. Wir dachten nicht wirklich daran zu gewinnen. Wenn ich zurückschaue, kann ich glücklich sagen, dass wir die Zeit effizient genutzt haben, um wichtige Aspekte unserer Entwicklung voranzutreiben.

Während des Wettbewerbs mussten wir unser Produkt mehrmals vor einer Jury präsentieren. Wir gingen durch verschiedene Auswahlverfahren, bei jeder Präsentation lernten wir mehr und mehr. Oxyle war beispielsweise das einzige Unternehmen, deren Kandidatur sowohl für den “Audience Award” als auch den “Jury Award of the Venture” ausgewählt wurde. Wir machten uns immer Notizen, wenn wir Feedback erhielten. Und so arbeiteten wir konstant daran, unsere Vision zu schärfen und unsere Präsentationen für die Jury zu verbessern. Der letzte Pitch hatten wir im Juni vor einer Jury, welche die grössten Namen der Industrie beinhaltete. Viele davon sehen wir als unsere Kunden. Am Tag der Siegerehrung erfuhren wir, dass wir nicht nur in der vertikalen Kategorie, d.h. Industrie und Technik, gewonnen, sondern den ganzen Wettbewerb für uns entschieden hatten. Wir waren ehrlich gesagt etwas erschrocken, aber auch unglaublich glücklich. Wir sind so stolz und fühlen uns geehrt, dass wir die Gewinnerin des «Venture competition’s 2020 Grand Prize» sind.

Bei diesem Wettbewerb mitzumachen hat unsere Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit erhöht. Wir haben nun unseren Fuss in der Tür von vielen Zielkunden, Partnern und Investoren, welche ernsthaft daran interessiert sind, mit uns zu arbeiten. Wir sind zuversichtlich, dass wir unsere geplanten Meilensteine erreichen können und mit unserem Projekt auf Kurs sind. Wie Du siehst, ich habe definitiv keinen 08/15-Job.

Möchtest Du den Studierenden von heute einen Ratschlag geben?

Die wichtigste Sache, welche ich gelernt habe, ist meinem Bauchgefühl zu vertrauen und meiner Passion zu folgen. Egal, was andere sagen. Als ich 17 Jahre alt war und von zu Hause weg ging um zu studieren, hatte ich keine konkreten Pläne, was ich in der Zukunft erreichen wollte. Wenn ich nun zurückschaue, realisiere ich, dass das absolut in Ordnung war. In den letzten Jahren habe ich gelernt, meinen Instinkten zu trauen und an meine Fähigkeiten zu glauben. Ich ermutige Studierende, Ratschläge bei Eltern, Mentoren und Professoren einzuholen. Aber schlussendlich müssen sie ihrer Passion folgen und das tun, was ihnen Freude bringt. Ich empfehle allen, Risiken einzugehen und sich auf neue Abenteuer einzulassen. Wir wissen nie, was wir aus diesen Herausforderungen lernen. Als Letztes, umgebt Euch mit positiven Menschen und lernt von diesen Erfahrungen, indem Ihr offenbleibt. Um es zusammenzufassen: Ich wählte, mein Leben nach meinen Bedingungen zu leben. Und ich hoffe, dass alle, die das lesen, es auch tun können.

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert