Kreative Intelligenz: Wenn nichts linear ist und vieles zum Paradox wird

Alumni Career

Am 9. Juli 2020 führte Jürg Federer ein Webinar zum Thema Management kreativer Intelligenz. Mittels Gesprächen mit Teilnehmenden demonstrierte er, was kreative Intelligenz bedeutet. Das Webinar folgte keinem linearen Aufbau. Gemäss Jürg Federer sind Strukturen in der kreativen Findungsphase Rohrkrepierer. Urteile sind dem später folgenden Innovationsprozess vorbehalten. Knapp 20 Alumni liessen sich auf das Abenteuer ein.

kreative Intelligenz

Gleich nach dem Einloggen begrüsste ein Zitat von Albert Einstein: «Die Logik bringt Dich von A nach B. Die Fantasie bringt Dich überall hin.» Ausserdem las man unten rechts, recht unauffällig: «Flugschule für schräge Vögel». Wenn das kein Versprechen für einen spannenden und unterhaltsamen Abend ist.

Was ist Kreativität?

Nach der Begrüssung erläuterte Jürg Federer, dass es 60 Studien zum Thema Kreativität gibt. Er verwarf aber alle Definitionen und präsentierte die 61.: Kreativität folgt keiner Struktur, sie ist auch nicht erklärbar, dafür aber erlernbar. Für ihn drückt sich Kreativität in der Persönlichkeitsentwicklung aus. Das sei der Unterschied zwischen Mensch und Maschine. Er machte ausserdem den Weg über die Sprache: Im Wort enthalten ist «creare», was im Lateinischen «zum Leben erwecken» heisst. Er verglich Kreativität auch mit einer Geburt: Man quetscht sich durch einen engen Kanal, um in eine neue Welt zu gelangen. «Ihr seid alle von Natur aus kreativ», meinte er.

Das Fundament der Kreativität: Wissen und Können

Für Jürg Federer braucht es sechs Eigenschaften, um zu kreieren. Die beiden ersten «Zutaten» stellte er uns direkt vor: Wissen und Können. Über diese beiden Eigenschaften sind wir in der Lage, aus Fehlern zu lernen. Indem wir aus unseren Erfahrungen schöpfen, können wir Lösungen finden und Rückschläge verarbeiten. Ausserdem helfen sie uns bei der Entscheidung, wie viel Risiko wir eingehen wollen.

Im gleichen Atemzug bat er uns, unser Wissen und Talent immer zu hinterfragen. Damit kam er zum ersten Paradox des Abends: Diese beiden Eigenschaften braucht es, sie versperren aber auch die Sicht. Wie die grosse Person, die genau vor uns im Kino sitzt. Er appellierte zudem an den «Homo Ludens», den spielenden Menschen.

Der Mut zu scheitern

Die Angst zu scheitern lähmt die Kreativität, man muss Mut haben. Weitere Komponenten der Sterbehilfe für die Kreativität sind Zweifel oder wenn jemand Recht hat. Im kreativen Prozess hat gemäss Jürg Federer niemand das Recht, Recht zu haben. Auch Zweifel und Hinterfragungen sind unerwünscht. Er führte ausserdem aus, dass genau aus diesen Gründen lineare Führungen Grenzen haben. Bei einem Brainstorming im Team verfallen die Teilnehmenden sehr oft in diese Muster. In einem solchen Umfeld werden oft Momente des Scheiterns hinzugezogen, um für Best Practice zu argumentieren.

Urteilsloser Dialog als Hilfsmittel

Mittels Dialog mit einer Teilnehmerin versuchte Jürg Federer herauszufinden, was ihre Ziele für das Seminar waren. Die anderen folgten dem Gespräch und waren gespannt. Allen war klar war, dass er etwas demonstrieren wollte. Am Ende stellte er das Konzept des urteilslosen Dialogs vor. Mittels offener, teils ungewöhnlicher Fragen, welche nicht werten, werden Lösungen für sich selber gefunden. Die Personen werden aufgefordert, nachzudenken, was für sie stimmt. Man versucht also herauszufinden, welche Erwartungen, welcher Arbeitsmodus im Büro die Kreativität hemmen und welche Einstellungen an anderen Orten die Kreativität fördern. Man kombiniert Routinen aus der Freizeit mit dem Büroalltag.

Ein weiterer Teilnehmer setzte sich auf den heissen Stuhl, und die anderen Teilnehmenden konnten Fragen stellen. Man merkte, dass es wie schon im ersten Gespräch um Balance geht: Was sind die Voraussetzungen, damit die Kreativität sprudelt. Der Teilnehmer hat es gewagt, aus einer komfortablen Situation herauszutreten, um neue Erfahrungen zu sammeln, um im administrativen Korsett zu ersticken. Dies leitete auch zum nächsten Thema über: Selbstmotivation.

Wenn Unbehagen das Bedürfnis nach Kreativität weckt

Kreativität wird in einem Ungleichgewicht geboren. Wenn alles in Ordnung ist, suchen die Wenigsten Veränderung. Insofern steht man sich und damit der Kreativität selber im Weg. Ohne Selbstmotivation, die vierte Zutat zur Kreativität, geht nichts. Oder man wagt, aus der Komfortzone herauszutreten. Ein kreativer Prozess bedeutet eben auch, aus der Dunkelheit heraus etwas ins Licht zu führen. Aus einem Unbehagen heraus hat man das Bedürfnis nach Wachstum.

Ein weiteres Hilfsmittel im kreativen Prozess ist der Helikopter-Dialog. Mit dem Perspektivenwechsel ändert man die Betrachtungsweise. «Was können wir sonst noch tun?» ist eine Frage, die dank des neuen Blickwinkels komplett anders befeuert wird.  

Be yourself, everyone else is takenOscar Wilde

Persönliche Reife und ideales Umfeld

Die fünfte Eigenschaft für Kreativität ist die persönliche Reife. In diesem Zusammenhang erwähnte Jürg Federer die Hochbegabung. Für ihn ist das eine in der Akademie erfundene Norm, die ihn aber trotzdem fasziniert. IQ hat nichts mit Erfolg zu tun, mehrere Beispiele führte er dazu an.

"Be yourself, everyone else is taken." Dieses Zitat von Oscar Wilde unterstreicht die Wichtigkeit von persönlicher Reife: Man darf sich nicht in Normen einquetschen und verbiegen lassen. Das führte uns zu einem weiteren Paradox: Alle wollen kreative Denker, aber niemand will sie führen.

Um die persönliche Reife zu definieren, erzählte er die Geschichte von einem Start-up, das zum Unicorn im Silicon Valley wurde: Jürg Federer hatte einen Termin mit dem Gründer. Als er sich am Empfang meldete, musste die Angestellte ihren Boss zuerst im Büro suchen. Er hatte wie alle Angestellten keinen festen Arbeitsplatz, sondern setzte sich jeden Tag an einen anderen Ort zwischen die Angestellten. So blieb er mit ihnen im Kontakt und war einer von ihnen. Diese Bescheidenheit lebte er auch privat, obwohl er mit seinem Start-up viel Geld verdient.

Um Kreativität zu entwickeln, braucht es als letzte Zutat ein ideales Umfeld. Eindrücklich führte Jürg Federer vor Augen, dass hochbegabte Menschen vor allem in der Kunst, im Sport oder in den darstellenden Künsten arbeiten. So ist für ihn die jährliche Oscar-Verleihung eine der grössten Ansammlungen hochbegabter Menschen. Hinter Glitzer und Oberflächlichkeit ist dies aber gut versteckt. Gemäss Jürg Federer braucht es Veränderungen, um diese hochbegabten Menschen dazu zu bewegen, ihre Talente in Unternehmen oder in der Akademie einzusetzen.

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Intuition als höchste aller Begabungen

Zum Abschluss gab er den Teilnehmenden zwei Sachen auf den Weg: Er bat alle, eine Selbsteinschätzung dieser sechs Eigenschaften zu machen. Wo steht man? Wo hat jede und jeder noch Entwicklungsbedarf? Als letzten Punkt führte er aus, dass wenn man der kreativen Intelligenz noch Weisheit hinzufügt, erhält man Intuition. Dies ist die höchste aller Begabungen.

Am Folgetag wurden alle Teilnehmenden mit den Unterlagen aus dem Webinar überrascht. Bei der Registrierung hatte man angeben müssen, was man von dem Webinar erwartete. Jürg Federer hat sich die Zeit genommen, allen Teilnehmenden ein paar persönliche Zeilen dazu zu schreiben. Nicht nur spannend und unterhaltsam, auch inspirierend und hilfreich.
 

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