Jürg Staudenmann: «Während des Aufstandes versuchten wir, Menschen für Umweltthemen zu sensibilisieren.»

  • Umwelt Alumni
  • Alumni Porträts

Am 22. März ist Weltwassertag. ETH Alumnus Jürg Staudenmann ist Umweltingenieur der ersten Stunde und hat im Bereich Wasser Management geforscht. Er weist über 20 Jahre Arbeitserfahrung in der internationalen Zusammenarbeit aus, wobei er unter anderem für die UNO als «Water Governance Advisor» in Osteuropa stationiert war. In einem Interview spricht er von seinen Berufserfahrungen und seiner Überzeugung, dass sich die Karriere kaum planen lässt.

Jürg Staudenmann

Was wolltest Du als Kind werden?

Lange wollte ich Rega-Pilot werden. Technik kombiniert mit Natur, das war mein Ding. Eventuell zeigte sich da schon ein Helfersyndrom (lacht). An der Kantonsschule wurde Umweltschutz als Thema aufgegriffen, was in den 80er-Jahre noch neu war. Das fand ich spannend. Aber es hiess, dass das ein brotloses Gewerbe sei, ich solle etwas Gescheiteres wie Bau- oder Maschineningenieur studieren.

Du hast an der ETH dann trotzdem im Bereich Umweltingenieurwissenschaften abgeschlossen und später ein Nachdiplomstudium in der Entwicklungszusammenarbeit absolviert. Was hat Dich motiviert, an der ETH zu studieren?

Ich wollte schon immer Zusammenhänge begreifen. Anfangs lag mein Interesse in technischen Aspekten. In Kombination mit der Faszination Umwelt gab dies den Ausschlag für das Umweltingenieurstudium. Ich war im ersten Jahrgang, der damals noch in der Kulturtechnik angesiedelt war.

Während des Studiums merkte ich aber bald, dass auch soziale Aspekte spannend sind. So besuchte ich während der zweiten Hälfte des Studiums auch Vorlesungen bei den Umweltwissenschaften. Im Trend lagen damals Disziplinen wie «Humanökologie».

Später in der Forschung an der Hochschule Wädenswil hatte ich mit China und Indien zu tun. Wir haben deren Ansätze zur Abwasserbehandlung untersucht, wie zum Beispiel Fisch- und Pflanzensysteme zur Abwasseraufbereitung und Nährstoffrückgewinnung. Das wachsende Interesse an interkulturellen und sozialen Themen brachte mich schliesslich dazu, ein Nachdiplomstudium in Betracht zu ziehen. Das NADEL lag insofern auf der Hand.

Du weist über 20 Jahre Berufserfahrung in den Bereichen der nachhaltigen Entwicklung und internationalen Zusammenarbeit aus. Wie hat Dir die ETH geholfen?

Die Stelle im UNO Entwicklungsprogramm erhielt ich wohl auch, weil ich diesen Umwelthintergrund mitbrachte. In einer späteren Funktion war ich in Osteuropa regionaler Berater für Wasserfragen. Ich konnte auf die Kompetenzen meiner ETH-Studien zurückgreifen: die sozialen Entwicklungsthemen des NADEL sowie die technischen Aspekte des Umweltstudiums. Besonders das Interdisziplinäre stand für mich immer im Vordergrund.

Hast Du ein eindrückliches Erlebnis aus der Zeit, als Du im Feld warst?

Mein erster Einsatz war von 2001 bis 2003 in Palästina. Das war zum Zeitpunkt der zweiten Intifada. Bei meiner Arbeit ging es unter anderem um ein Wadi, also ein regelmässig austrocknendes Flussbett, welches eine grosse Bedeutung für Zugvögel im Mittelmeerraum hat. Unsere Projektpartner organisierten einige Ausflüge für Schulkinder aus dem Gaza-Streifen. Das war ein sehr positives Element inmitten der Misere. Aber gleichzeitig war es schon etwas surreal: Während des Aufstandes versuchten wir, Menschen für Umweltthemen zu sensibilisieren.

Du warst ja an verschiedenen Orten stationiert und hast mit Menschen aus verschiedenen Kulturen gearbeitet. Gibt es etwas, das alle gemeinsam haben?

Menschen haben ähnliche Wünsche und Grundbedürfnisse: Sie möchten ein anständiges und würdevolles Leben führen. Dazu gehört ein Einkommen oder eine Lebensgrundlage, um die Familie ernähren zu können. Je nach klimatologischem, kulturellem oder politischem Umfeld ist die Prägung jeweils etwas anders. Aber alle möchten immer auch Teil des sozialen und auch des politischen Prozesses sein.

Seit 2014 bist Du bei Alliance Sud, einem entwicklungspolitische Think-and-Do Tank, für Klima und Umwelt verantwortlich. Was beinhaltet Deine Arbeit?

Alliance Sud ist der politische Arm der schweizerischen Entwicklungsorganisationen. Unser Mandat besteht darin, in entwicklungspolitisch wichtigen Themen Einfluss auf die Schweizer Politik zu nehmen. Das ist quasi eine logische Fortsetzung meiner Laufbahn: von technischen Aspekten und Naturwissenschaft, über die Ergänzung im Sozialen kam damit der politische Kontext hinzu. Das finde ich sehr faszinierend.

Natürlich profitiere ich dabei ungemein von der soliden naturwissenschaftlichen Basis und vor allem dem Systemdenken aus meiner ETH-Zeit. Dazu kommen die länderübergreifenden Erfahrungen in sozial-gesellschaftlichen Themen und aus der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist zentral für die Frage der Klimagerechtigkeit, im Sinne der Nord-Süd-Dimension. Die Herausforderung liegt darin, das alles in den Kontext der Schweizer Politik einzubringen.

Wir erarbeiten und vertreten politische Positionen, zum Beispiel beim CO2-Gesetz: Aus entwicklungspolitischer Sicht ist das Thema der Klimafinanzierung wichtig. Das heisst: Wie sollen wohlhabende Länder wie die Schweiz die Ärmsten in Entwicklungsländern in der Klimakrise unterstützen? Denn sie sind sehr viel mehr und vor allem weitgehend unverschuldet von den Folgen der Klimaveränderung betroffen. Wir erarbeiten sowohl die Grundlagen und besprechen dies direkt mit Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Wir versuchen so, Aspekte aus der Sicht der Benachteiligten dieser Welt in den politischen Prozess einfliessen zu lassen.

Wenn Du auf Deine Ausbildung und Karriere zurückschaust, würdest Du nochmals die gleichen Entscheidungen treffen?

Ich würde ähnlich entscheiden, aber heute wohl direkt in die Umweltwissenschaften einsteigen, und die technischen Vertiefungen etwas weglassen. Ein Nachdiplomstudium würde ich aber nicht mehr in der Schweiz machen, sondern den Ausbildungsort wechseln. Ich traf aber selten Richtungsentscheide, um eine gewisse Karriere anzustreben. Vor allem nie im Sinne eines notwendigen Zwischenschrittes, um damit irgendein fernes Karriereziel zu erreichen. Es waren vielmehr Chancen, die sich mir boten, und welche ich erkannt und ergriffen habe. Geplant war mein Werdegang, den ich stets erfüllend empfand, so nicht von Anfang an. Mit anderen Worten: Wenn ich das heute nochmals so angehen würde, ergäbe sich bestimmt eine andere, sicher aber genauso spannende Laufbahn.

Was würdest Du den heute Studierenden der ETH weitergeben?

Genau das: Man soll und kann eine Karriere nicht wirklich planen. Ich habe mehrere Schicksale beobachtet: Zu stark kalkulierte Karriere-Konstrukte klappen meines Erachtens kaum. Jeder einzelne Schritt muss für sich selber stimmig sein. Dann gehen weitere Türen auf. Auch wenn man sich überlegt, eine Weiterbildung zu machen, so ist es wichtig, dass diese für sich selber Sinn macht und nicht nur als Mittel für einen erhofften, in der fernen Zukunft liegenden Karrierewunsch dienen soll.

Aber ich glaube, dass die heutigen Studierenden das schon richtig machen: ihrem Herzen folgen, anstatt einer erhofften Karriere. Denn vieles im Leben macht Sinn, auch Unvorhergesehenes. Wenn man den Mut hat, sich darauf einzulassen und zu reflektieren, was einem widerfährt, dann sind sogar Rückschlage sinnvoll. Ich würde es sogar so formulieren: Ohne Rückschläge kein Vorwärtskommen.
 

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert