Ben Jann: «Der Doktor der ETH ruft positive Reaktionen hervor»

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Ben Jann hat im Bereich der Soziologie an der ETH promoviert. Heute arbeitet er als Professor an der Universität Bern und ist für verschiedene Projekte unter anderem im Bereich Arbeitsmarkt zuständig. An der KOF Prognosetagung spricht er zu Geschlechterdifferenzen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Wichtig sind ihm subtile Einflüsse und Geschlechterrollen, welche die Fremd- und Selbsteinschätzung und das Verhalten beeinflussen.

Ben Jann

Was wolltest Du als Kind werden?

Als Kind wollte ich Archäologe werden, das fand ich faszinierend. Ich entschied mich dagegen, weil ich keine Totenköpfe finden wollte. Der Gedanke machte mir Angst. Ich finde aber Archäologie oder auch Anthropologie weiterhin sehr interessant.

Du hast letztlich Soziologie studiert. Wie kam es dazu?

Das war ein Zufall. Nach der Matura entschied ich mich für Wirtschaft an der Universität Bern. An der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gab es ein Einführungsstudium. Es kombinierte BWL, VWL, Politikwissenschaften, Soziologie und Kommunikation. Im ersten Jahr waren die Kurse für alle gleich, egal wofür man eingeschrieben war. Einen Aushilfsdozenten, der empirische Methoden der Sozialforschung unterrichtete, fand ich dermassen gut, sodass ich umschwenkte. Je mehr ich mich vertiefte, desto spannender fand ich es.

Du hast an der ETH promoviert. Was für Erinnerungen hast Du an die Zeit?

Das war auch ein Zufall. Ich fing meine Dissertation in Bern an, dann wechselte mein Chef an die ETH. Es passte eigentlich gut, obwohl Soziologie kein typisches Fach für die ETH ist. Ich habe mich immer auch für die die technischen Aspekte der Disziplin interessiert, da ich gerne programmiere und rechne. Insofern fühlte ich mich an der ETH zu Hause.

In der Lehre war ich hauptsächlich in den Bereichen der Umwelt- und Naturwissenschaften integriert. Ich besuchte auch Kurse, vor allem in der Statistik. In der Forschung konnte ich machen, was mich interessierte. Ich habe also gute Erinnerungen an die Zeit an der ETH. Meiner Erfahrung nach ruft der Doktor der ETH positive Reaktionen hervor. Es könnte ja auch umgekehrt sein, da die ETH nicht mit Soziologie assoziiert wird.

Du arbeitest nun an der Universität Bern. Was beinhaltet Deine Arbeit?

Ich bekam die Stelle einer neu geschaffenen Professur in Bern angeboten. Auch aus familiären Gründen machte es Sinn, diese anzunehmen. Ich beschäftige mich beispielsweise mit dem Arbeitsmarkt, das machte ich auch schon in der Dissertation. Die TREE-Langzeitstudie, ein durch den Nationalfonds finanziertes Infrastrukturprojekt, ist bei mir angesiedelt. SchulabgängerInnen werden seit 2000 auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt begleitet. Es geht um die postobligatorische Ausbildung und darum, wie die jungen Erwachsenen im Arbeitsmarkt landen.

Die ersten Teilnehmenden waren 2000 in der 9. Klasse, sie nahmen damals an der PISA-Studie teil. Wir befragen sie regelmässig zu ihrer aktuellen Situation wie Abbrüche oder Weiterbildungen, und wie es ihnen dabei ergeht. Diesen Herbst werden wir eine weitere Befragung dieser Personen durchführen.

Kürzlich wurde eine zweite Kohorte mit neuen Teilnehmenden gestartet. Das sind nun SchulabgängerInnen aus dem Jahr 2016. So kann man auch die beiden Gruppen vergleichen und untersuchen, was sich verändert hat. Erste Daten der neuen Kohorte werden nächstes Jahr veröffentlicht. Aber wir sammeln natürlich noch weiter Daten.

Am 2. Oktober wirst Du als Experte an der KOF Prognosetagung 2019 zum Thema Geschlechterdifferenzen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sprechen. Worum geht es?

Das Thema ist natürlich breit, und ich werde nicht über Standardresultate wie zum Beispiel die statistischen Lohnunterschiede sprechen. Ich möchte gerne aufzeigen, dass es oftmals subtile Mechanismen gibt, die indirekt wirksam sind. Auf solche Mechanismen ist man weniger sensibilisiert, weil sie oft nicht einfach erkennbar sind.

Wir führten beispielsweise eine Serie an Experimenten durch, in denen eine Person beschrieben wurde, und die Leute bewerten mussten, ob der Lohn gerecht ist. Da sieht man Geschlechterdifferenzen. Das heisst, das Geschlecht der beschriebenen Person hat einen Einfluss auf die Perzeption, was ein gerechter Lohn ist. Es gibt viele Leute, die überzeugt sind, dass sie bei so einem Thema keinen Unterschied machen. Sie sind sich einfach nicht bewusst, dass sie es doch tun.

Selbst wenn man annimmt, dass alle gute Absichten haben und nicht zwischen Frauen und Männern diskriminieren möchten, folgt aus solchen Resultaten, dass trotzdem Unterschiede gemacht werden. Wir sehen Rollenbilder, die sich sehr subtil präsentieren. Beispielsweise gibt es auch Forschung, die zeigt, dass Frauen und Männer Lohnverhandlungen unterschiedlich angehen, aufgrund der Erwartungen an sich selbst. Die gesellschaftlichen Vorstellungen färben ab und haben Einfluss auf das eigene Verhalten. Natürlich findet man auch Frauen, die harte Verhandlungspartnerinnen sind; wir interessieren uns jedoch für das statistische Mittel, und da sieht man Unterschiede.

Es gibt auch Vorstellungen, dass Frauen andere Kompetenzen haben als Männer. In einem Projekt baten wir Teilnehmende, ihre Mathematik-Kompetenzen selber einzuschätzen. Wir haben also Leistungstest und Selbsteinschätzungen im Bereich Mathematik. Die Leistungstests sind vielleicht nicht über alle Zweifel erhaben, aber man sieht deutlich, dass sich Mädchen sehr viel häufiger unterschätzen als Jungen. Es zeigt das rollengerechte Denken: Frauen können keine Mathematik.

Zu Frauen in Führungspositionen gibt es auch einige Forschung. Resultate deuten darauf hin, dass die gleichen Eigenschaften, zum Beispiel Erfolgsstreben, bei Frauen und Männer unterschiedlich bewertet werden. Ich möchte den Fokus auf solche Sachen setzen, und nicht nur auf Lohnunterschiede. Es geht mir um die etwas breitere soziologische Sichtweise, dass Ungleichheiten durch gesellschaftliche Vorstellungen geprägt werden und schon sehr viel früher als erst mit dem Eintritt in den Arbeitsmarkt entstehen. Geschlechtsspezifische Rollenbilder durchdringen das gesamte gesellschaftliche System.

Effekte von Rollenbildern sieht man überall. Wenn man also eine Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt erreichen will, dann kann man meiner Meinung nach nicht nur beim Arbeitsmarkt ansetzen. Es muss zum Beispiel auch etwas im familiären Bereich passieren. Und wenn man die Zahlen in der Schweiz anschaut, dann sind wir diesbezüglich extrem rückständig. In den letzten Jahrzehnten hat sich da wenig verändert. Impulse müssen manchmal auch von der Politik kommen, um einen Veränderungsprozess anzustossen. In solchen Situationen können beispielsweise Quoten durchaus sinnvoll sein. Die Argumente dagegen sind sicher auch wichtig, aber manchmal überwiegen die Vorteile.

KOF Prognosetagung 2019

KOF

Welche Rolle spielt die Ungleichheit im Schweizer Arbeitsmarkt? Ben Jann ist einer der Experten, welcher Antworten aus der Forschung dazu gibt.

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