Luzius Meisser: «Mit der Blockchain dringt die Informatik in den Finanzbereich vor»
Alumni Porträts
Luzius Meisser hat an der ETH Informatik studiert und gilt als Blockchain-Experte. Er ist Mitgründer der Bitcoin Association Switzerland und steht mehreren Fintechs als Investor und Verwaltungsrat zur Seite. Zudem doktoriert er in "Banking & Finance". Am 9. April wird er an der ETH darüber sprechen, wie man als Software-Ingenieur den Finanzsektor umkrempelt
Was wolltest Du als Kind werden?
Ich wollte Erfinder in der Lego-Fabrik werden, um neue Modelle zu entwerfen. Ich habe schon immer gerne Sachen aufgebaut.
Hat das, was Du heute machst, noch etwas mit diesem Traum zu tun?
Ich habe an der ETH Informatik studiert. Ähnlich wie mit den Lego-Bausteinen geht es in der Informatik um Modularisierung. Man teilt alles auf, um sich nicht in der Komplexität zu verlieren. Ich bin also kreativ tätig und baue, einfach am Computer. Aktuell beschäftigt mich, wie man Aktien auf Blockchain abbilden kann. Dabei ist zwar inzwischen bekannt, wie dies geht und auch wie man einen Handelsplatz dazu technisch umsetzt. Was aber noch fehlt, sind neue Methoden des Market Making, also neue Ideen, wie man mithilfe sogenannter Smart Contracts sicherstellt, dass man jederzeit eine Gegenpartei findet, wenn man den Token wieder verkaufen möchte. Das ist auch das Thema meines gegenwärtigen Doktorats an der Universität Zürich.
«Das spannende an der Informatik im Gegensatz zu anderen Ingenieur-Disziplinen ist, dass man aus der Garage heraus etwas entwickeln kann, was praktisch kostenlos weltweit repliziert und vertrieben werden kann».Luzius Meisser
Was hat Dich an der Informatik gereizt?
Als ich im Jahr 2000 mein Informatikstudium anfing, war das in der Zeit der «Dotcom-Blase». Wir waren 320 Studenten, die gemeinsam starteten, 80 schlossen das Studium erfolgreich ab. Bei den zwei Vordiplomen fielen jeweils 50 % raus. Kurz darauf platzte die Dotcom-Blase und der Folgejahrgang hatte wieder viel weniger Studenten. Das spannende an der Informatik im Gegensatz zu anderen Ingenieur-Disziplinen ist, dass man aus der Garage heraus etwas entwickeln kann, was praktisch kostenlos weltweit repliziert und vertrieben werden kann
Mit Blockchain dringt nun die Informatik in den Finanzbereich vor. Damit prallen zwei Welten aufeinander: Der Finanzbereich ist stark reguliert und geprägt von grossen Kolossen. In der Informatik gibt es viele agile Teams, welche aus der Garage heraus die Welt revolutionieren können. Wer am Ende das Rennen macht – finanzkräftige Banker oder agile Informatiker – ist noch offen. Es kann sein, dass am Ende die beste Börse nach wie vor von herkömmlichen Banken betrieben werden. Es könnte sich aber auch ein kleines Team der ETH durchsetzen. Es gibt da Doktoranden, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, zum Beispiel das Team um Arthur Gervais von Liquidity Network. Ich fände es lustig, wenn so jemand die Welt revolutionieren würde. Meiner Meinung nach bringt Blockchain viele technische Lösungen zu rechtlichen und wirtschaftlichen Problemen.
Oft sind die rechtlichen Hürden zur Innovation um ein vielfaches grösser als die technischen.Luzius Meisser
Wir haben also nicht zum letzten Mal von Blockchain gehört?
Es gab auch hier einen riesigen Hype, und die Erwartungen sind nach wie vor hoch. Bei allen Anwendungen, die mit der physischen Welt zu tun haben, bin ich aber skeptisch. Immer, wenn die Blockchain mit der physischen Welt verbunden werden soll, gibt es Friktionen. Im Gegensatz dazu ist der Finanzbereich von Anfang an virtuell. Eine Aktie oder eine Anleihe kann auch ohne Papier existieren. Daher bin ich überzeugt, dass die wichtigsten Anwendungen dieser Technologie im Finanzbereich sind. Allerdings ist diese auch sehr stark reguliert und oft sind die rechtlichen Hürden zur Innovation um ein vielfaches grösser als die technischen.
Wer zum Beispiel im heutigen rechtlichen Rahmen eine Börse betreiben will, braucht ein Aufsichtsorgan, eine Geschäftsleitung, eine Compliance-Abteilung, eine interne Revision und eine unabhängige Beschwerdestelle – die alle mit unterschiedlichen, qualifiziertem Fachpersonal besetzt werden müssen. Dann müssen alle Abläufe in dicken Reglementen festgenagelt und von der Finma genehmigt werden, was unter Umständen mehrere Jahre dauern kann. Ganz abgesehen von den völlig unverhältnismässigen Kosten geht damit auch jede Agilität verloren.
Warum denkst Du, ist Blockchain für den Finanzbereich so spannend?
Die Blockchain ermöglicht ein «Internet of Finance» und eine Demokratisierung des Kapitalismus. Es gibt heute so viele Aktiengesellschaften wie noch nie in der Schweiz, nämlich über 100'000. Aber immer weniger davon sind an der Börse öffentlich handelbar. In den 80er Jahren gab es noch 2’500 börsenkotierte Aktien und Anleihen an der Zürcher Börse. Heute sind es nur noch halb so viele. Börsenkotierte Firmen gibt es nur noch etwa 230. Ich bin überzeugt, dass es hier ein grosses Potenzial gibt, den «Long Tail» ans Tageslicht zu bringen und den Anlegern besser zugänglich zu machen.
Oftmals ist es nämlich so, dass kleine Unternehmen die grösseren Renditen erwirtschaften als grosse. Das haben unter anderem die Nobelpreisträger French und Fama in ihrem bekannten «Five Factor Model» empirisch nachgewiesen. Wenn nur noch die grossen langweiligen Firmen wie Nestlé oder Novartis an der Börse sind, entgehen dem durchschnittlicher Anleger viele Opportunitäten. Die Regulierung, die ihn vor dem Risiko schützen soll, schützt ihn auch vor der Rendite. Und diese Rendite geht heute über Private Equity vor allem an die allerreichsten. Das halte ich für bedenklich.
Die Blockchain ermöglicht hier völlig neue Möglichkeiten. Ich stelle mir vor, dass bis in ein paar Jahren Tausende von Schweizer Aktiengesellschaften ihre Aktien tokenisiert und so öffentlich handelbar gemacht haben. Damit profitieren einerseits die kleinen und mittleren Firmen von einem besseren Zugang zum Kapitalmarkt zu günstigeren Konditionen, und andererseits aber auch der durchschnittliche Anleger und unsere Pensionskassen, deren zugängliches Anlageuniversum stark vergrössert wird. Wenn das alles klappt, steigt am Ende vielleicht sogar mal wieder der berühmte Umwandlungssatz.
Wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Momentan bin ich sehr viel zu Hause. Ich habe vier Kinder, auch die machen Arbeit. Ich bin aber beratend und als Investor in mehreren Firmen involviert. Dazu mache ich noch einen Doktor in «Banking and Finance», so kombiniere ich Informatik und Wirtschaft. Ein paar Mitstudenten haben zum Beispiel die Firma Alethena gegründet, welche als erste in der Schweiz die Tokenisierung von Aktien für eine Flat Fee anbietet. Damit wollen wir auch einen Weg aufzeigen, wie man ICOs (Initial Coin Offerings) richtig macht. In der Vergangenheit wurde hier den Investoren nicht viel mehr als ein bisschen Hoffnung verkauft. Mit Aktien hingegen erhält der Anleger ein Bündel gesetzlich garantierter Rechte.
«Es gibt viele Blockchain-Firmen, die händeringend nach guten Informatikern suchen und gerne gute ETH-Absolventen anstellen».Luzius Meisser
Am 9. April wirst Du an der ETH den Weg zum «Internet of Finance» erläutern. Für wen könnte das interessant sein?
Informatiker, welche ein Startup gründen wollen, könnten sich einen Überblick verschaffen, welche Finanzierungsformen über die Blockchain möglich wäre. Zudem würde es mich freuen, Studenten zur Gründung eigener Firmen im Blockchain-Ökosystem zu inspirieren. Es muss aber nicht immer eine eigene Firma sein. Es gibt viele Blockchain-Firmen, die händeringend nach guten Informatikern suchen und gerne gute ETH-Absolventen anstellen.
Hier kann ich auch ein paar Beispiele nennen. Das alles trägt dazu bei, den Schweizer Finanzplatz neu zu erfinden. Und das ist dringend nötig. Noch 2007 erwirtschafteten die Banken 8,2 % des Schweizer Bruttoinlandprodukts aus, zehn Jahre später sind es nur noch 4,6 %. Hier bietet sich eine einmalige Chance, etwas Neues aufzubauen, und zwar in einem Sektor, mit dem man mit wenigen Zeilen Code enorme Vermögenswerte verschieben kann. Ich biete mich hier gerne als Einstiegspunkt an.
Veranstaltungstipp
Blockchain und Kryptowährung für Anfänger
Dienstag, 9. April 2019 um 18.30 h
Für die Veranstaltung ist eine Anmeldung erforderlich.